: Die Kirche hat Berlin im Griff
Evangelischer Kirchentag: Überfüllte Kirchen, gesperrte Straßen / Eine „Messe der Beliebigkeit“? ■ Aus Berlin Andreas Zumach
Mit Auftaktgottesdiensten in über 100 Berliner Gemeinden und einem „Abend der Begegnung“ in der Innenstadt begann am Mittwoch der 23. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT). Die drangvolle Enge, die in den Kirchen und auf dem Kurfürstendamm herrschte, wird bis zum Abschlußgottesdienst am Sonntagvormittag herrschen: Zu den über 3.000 Programmveranstaltungen unter dem Kirchentagsmotto „Unsere Zeit in Gottes Händen“ ist die Rekordzahl von knapp 150.000 Teilnehmern angemeldet. In Bibelarbeiten sowie Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen sollen fast sämtliche derzeit interessierenden politischen und Glaubensfragen behandelt werden. Kirchentagspräsident Helmut Simon bestritt auf der Eröffnungspressekonferenz allerdings den bei Beobachtern zunehmend verbreiteten Eindruck, daß der Kirchentag zu einer „Messe der Beliebigkeit“ wird.
Zur umstrittensten Frage der Pressekonferenz wurde das „Kuschen des Kirchentages vor Ceausescu“ (taz vom 6. Juni). Erst auf mehrfache Nachfrage bestätigte Simons Präsidiumskollegin Eleonore von Rotenhan im wesentlichen den Hintergrund der Ausladung des rumänischen Exilschriftstellers Richard Wagner vom Podium einer für Freitag geplanten Veranstaltung über Rumänien. Sie wiederholte die bisherige Version des DEKT, wonach der Banater Wagner lediglich deshalb wieder ausgeladen worden sei, weil man einen Siebenbürger als Podiumsteilnehmer wollte. Rotenhan bestritt, daß der Siebenbürger Bischof Albert Klein mit völlig anderen Argumenten gegen Wagners Teilnahme interveniert und mit dem Fernbleiben der rumänischen Kirchendelegation gedroht habe. Für beides liegen sowohl der DEKT-Leitung als auch der taz Beweise vor. Der ebenfalls als Podiumsteilnehmer vorgesehene ungarische Fortsetzung auf Seite 2
Kommentar auf Seite 8
Bischof Bela Harmati bestätigte den Bericht der taz. Er warf dem Kirchentag vor, sich um eine deutliche Kritik an den Verhältnissen in Ru
mänien drücken zu wollen. Der bundesdeutsche Bischof Joachim Heubach sagte seine geplante Teilnahme am Podium inzwischen ab. Er fürchte, sonst nicht mehr nach Rumänien einreisen zu dürfen, erklärte Heubach gegenüber einem anderen Podiumsteilnehmer sein Fernbleiben.
Unter den vielfältigen Aktivitäten während des Kirchentages ragt eine von Berliner und bundesweiten Friedensgruppen veranstaltete Großdemonstration „Vom deutschen Boden geht Krieg aus - wir erklären den Frieden“ am Samstag heraus. Anti-Apartheid-Initiativen planen für Freitag Protestspaziergänge zu Großbanken, die Geschäfte mit dem Apartheidregime betreiben. Mit einem „Sit-in“ vor dem Haupteingang der Messe soll dagegen protestiert werden, daß der DEKT nach wie vor Konten bei diesen Banken unterhält.
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