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SENATSKOMMUNE MIT HERZ

■ Die Ufa-Fabrik feiert zehn Jahre Landnahme

„Vertrauen in die eigenen Kräfte und die Unterstützung von Gleichgesinnten - mit diesen beiden Handlungsgrundsätzen hat sich die Fabrik im Laufe des letzten Jahrzehnts zu einer bedeutenden wirtschaftlichen Kraft für Berlin entwickelt...“ Das stammt nicht etwa aus der Geburtstagsrede der Senatsverwaltung für Wirtschaft. In einem „Rückblick auf die nächsten zehn Jahre“ in der ersten Fabrikzeitung vom 18.9.1979 blicken die Ufas so selbstbewußt in die Zukunft, daß die selffullfilling prophecy nicht verwundert. Trotz berlinunternehmenbedingter „Standortschwierigkeiten“ (O-Ton Juppi), liefern die 60 Kommunarden soviel Brötchen aus, daß der Ofen zu klein geworden ist, und produzieren beziehungsweise managen soviel Kultur, daß der alte Theatersaal aus den Nähten platzt, ein neuer ist kurz vor der Fertigstellung. „Wir bieten mit unserer ganzen Arbeit das, wovon jede Regierung träumt: Brot und Spiele“, sagt Gründungsoriginal Juppi, wie immer alle Kategorien der politischen Moral unterlaufend.

Begonnen hat alles vor 13 Jahren mit einem Kollektiv in der Kurfürstenstraße, in dem nicht nur gedruckt, getöpfert und belichtet wurde. Ein Sozialhilfefonds betreute zwei Jugendwohngemeinschaften, eine „Interessengemeinschaft Rock“ bemühte sich um gemeinsame Übungsräume und eine andere Gruppe plante eine „Freie Schule“. Als die alten Räume zu klein wurden, 1979, besetzten 100 Leute die ehemaligen Ufa -Kopierwerke in Tempelhof. Dem Konzept, Arbeit, Kultur und Soziales gleichermaßen zu frönen, blieb man bis heute treu. Aus dem bunten Haufen sanierungs- und integrationswütiger Fabrikler wurde ein gutorganisierter, autarker Kleinstaat im Staat, der mit Handwerksbetrieben aller Art und vor allem die Alternativ-Windenergietechnologie von „Wuseltronic“ auch über gute Außenhandelsbeziehungen verfügt. „Wir haben die gleichen Probleme wie der Berliner Senat“, sagt Juppi stolz, „die Verquickung von Politik, Wirtschaft und Unterwelt“, allerdings mit einem filzigen Unterschied, daß sich kein Kommunarde am andern bereichern kann: bis heute gibt es nur eine Kasse.

Das selbständige Klingeln dieser Kasse war es, was die Politiker quer durch die Parteien beeindruckte und dem Kollektiv zur Ufa verhalf. Zum ersten Mal versprachen Besetzer, Miete zu zahlen, in Höhe von 8.500 Mark, und legten gar noch 104 frische Arbeitsplätze drauf. Die Tempelhofer FDP begrüßt schärfstens die Selbstfinanzierung und setzt sich beim Wirtschaftssenator dafür ein, auch die CDU ist beeindruckt, der Schulsenator wittert, mit der „Freien Schule“ Bezirksgeld sparen zu können, denn Privatschulen kriegen erst nach sieben Jahren öffentliche Zuschüsse, und bietet dem Finanzamt, das auf dem Ufa-Gelände seinen Erweiterungsbau hinsetzen will, zwei aus dem Bauplan ausradierte Oberstufenzentren an der Marienfelder Allee zur Ersatzlandnahme an. Und die SPD hält ihre Fraktionssitzung inmitten der BesetzerInnen ab, um sich von dem „Modell, das nichts kostet“ zu überzeugen.

Als selbst der damalige Bürgermeister Stobbe von einer Ufa -Delegation durch eine konspirative Bürgersprechstunde begeistert werden kann, blockiert nur noch einer: SPD -Finanzsenator Riebschläger hetzt den Ufa-Leuten die Steuerfahnder auf den Hals, um ihre Zahlungsfähigkeit zu testen, und will gleichzeitig mit ihnen einen Einjahresvertrag zur Wuchermiete von 12.000 Mark bei einem Teilabriß abschließen. Im Oktober 1979 kommt endlich ein Kompromiß zustande: ein Dreijahresvertrag für ein Teilgelände zur Monatsmiete von 4.000 Mark, das übrige Areal wird zur unentgeltlichen Nutzung vorläufig überlassen. Doch drei Jahre sind zu kurz zum Investieren. Als die Ufas ihren Kinosaal ausbauen wollen, und zu diesem Zweck Lottogelder beantragen, muß erst die Zukunft über den Vertrag hinaus geklärt werden. Wirtschafts- und Finanzsenator, die zufällig auch im Lottobeirat sitzen, wollen den Vertrag nicht verlängern; Riebschläger versucht, das Gelände einer Kreuzberger Plastikfabrik aufzudrängen, die es gar nicht haben will. Kino und Werkstätten werden schließlich durch Anleihen bei stillen Teilhabern finanziert, erst 1983, als sogar die „Junge Arbeitnehmerschaft“ beim neuen CDU -Wirtschaftsstadtrat Gollmer für eine unbürokratische Förderung appelliert, wird das Ufa-Leben auf weitere 15 Jahre verlängert, allerdings zu einer neuen Gesamtmiete von 12.000 Mark und unter Aufsicht der CDU, die in den Investitionsplan schauen will. Seit 1986 hat die Ufa endlich ihren ersehnten Erbpachtvertrag auf 35 Jahre. Trotz heutiger Festkosten von monatlich 80.000 Mark finanziert sich das Unternehmen immer noch hauptsächlich selbst. Lediglich für die Kulturprojekte wie „Trans-Europe-Festival“ im letzten Jahr oder die „Mir-Caravane“ dieses Jahr hat es Subventionen gegeben. „Wir sind es, die seit sieben Jahren den Berliner Senat subventionieren“, ist die Maxime der Ufa, „da müssen wir schon aus Konkurrenzgründen für unsere öffentlichen Dienstleistungen auch mal die Hand aufhalten“.

„Was ist dran am alternativen Leben?“, untersuchte die 'Morgenpost‘ anno 1980 für ihre aussteigewilligen LeserInnen und zitierte einen Professor: „Mit entfalteten Außenweltbeziehungen wird die Subkultur gewisse geregelte Außenfronten (Steuerwesen, Mietverträge) benötigen“, und konstatierte tief enttäuscht: „Was, so muß man sich fragen, ist daran noch alternativ?“ Die Ufa-Fabrik hat noch nie Berührungsängste gekannt, ob am 1.Mai, auf dem Moskauer Roten Platz oder zuletzt beim Kirchentag, frei sein, high sein, dabei sein ist die Devise, „denn hier kann niemand den anderen über die Mauer werfen.“ Auch beim größten Reinfall der Ätzfeierei '88, da wo die Wannsee-Wellen an den Strand und das Volk sich für die gebotenen Luftblasen ans Hirn schlägt, schlug der Samba-Zirkus für Radio in Berlin und den Wirtschaftssenator die Trommel. „Wir wußten ja erst gar nicht, daß Radio in Berlin von Springer gesponsert ist, und dann dachte ich mir, auch nicht schlecht, der Springer hat soviel Scheiße produziert, das ist der erste Schritt zur Wiedergutmachung. Außerdem hat der SFB die Phonstärke gemessen, für 50.000 Mark Gage bei neun Auftritten a 30 Leuten haben wir mehr Applaus gekriegt als das ganze übrige Spektakel zusammen.“

Bei soviel Vertrauen in die Ethik des Sponsorentums und die positiven Heilungskräfte der Subkultur muß jede Kritik passen. Juppi glaubt noch immer, „niemandem zu gehören, keiner Partei und keiner Szene“ und solange er redet, hat er recht. Wie die Ufa-Fabrik sich mit einem penetranten und dazu noch stockehrlichen Optimismus in alle Besetzungs- und Landnahmeprozesse der offiziellen Verlogenheit integriert, und diese damit mit dem Heiligenschein linker Moral und Glaubwürdigkeit umgibt, ist schon phänomenal. Zum Europajahr 1992 bereitet man sich jetzt schon vor mit dem fahrenden europäischen Schauspielerdorf „Mir Caravane“, das vom 14. bis 30.Juli drei Wochen lang in Berlin rund um die Siegessäule Spektakel bieten wird. 220 Personen, fünf Zelte, 80 Lastkraftwagen aus Ost- bis Westeuropa machen nur kurz Station, um von Moskau und Kiew bis nach Bologna und Kopenhagen weiterzuziehen. Die Idee vom europäischen Kulturaustausch will die Ufa-Fabrik auch in Zukunft weiterverfolgen - während Ex-Europakulthurensenator Hassemer aus Langeweile und für alle Fälle Fremdsprachen lernt.

Aber auch mit der neuen Kultursenatorin komme man gut aus, meint Juppi. Auf dem Kirchentag habe sie ihn mit seiner Zirkushundenummer angesagt, „als ein Beispiel dezentraler Kultur“. „Und die Schreyer, die Umweltsenatorin, hat mir assistiert, ohne daß ich sie aufgefordert hätte... Ich hab‘ mich selten so sicher gefühlt, mit einer so tollen Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat.“ Andererseits gibt's für den dezentralen Bonus auch nicht mehr Subventionen als für den europäischen Weichblick. Aber Juppi und die Ufa -Fabrik, immer mitten auf der Drehscheibe zwischen Ost und West, Diepchen und Dissidenz, geben sich ungeschlagen zuversichtlich: „Eigentlich kann es uns jetzt doch nur besser gehen.“ Vielleicht kommt diese Unbefangenheit aus dem Ufa-Zirkus: Nach der Raubtiernummer die Akrobatik. Im neuen Programm „Atlantis“, das sich mit der Stadt Berlin beschäftigen soll und am 28.Juni Premiere hat, hat Juppi zeitgemäß abgerüstet. Die Hundenummer findet jetzt ohne die beiden Polizisten statt.

Dorothee Hackenberg

Heute und morgen, jeweils ab 18 Uhr, findet ein großes Geburtstagsfest in der Ufa-Fabrik statt, im Programm Matthias Beltz vom Frankfurter Fronttheater (aber ohne Schreynemaker), „Die drei Tornados“, Gunther Schmidt und Lisa Politt als „Herrchens Frauchen“ aus dem Ufa-Circus Bobby Fischer, Samba Special, Tanz und Freilichtkino.

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