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Volle Streik-Wucht in Tüten

■ 1.500 VerkäuferInnen legten am Samstag die Innenstadt lahm / Sechs Bremer Kaufhäuser bestreikt / HBV macht weiter

Um 5 Uhr kamen die ersten Streikposten. Um 9 Uhr sah die Horten-Geschäftsführung die Demokratie in Gefahr. Um 9.30 malte Geschäftsführer Horst Brinkmann bereits das Schreckgespenst einer über das Bremer Wochenende hereinbrechenden

Hungersnot aus, ergänzt von einem Stellvertreter, der angesichts des Schauspiels vor den Kaufhaustoren „völlig verständlich“ fand, „daß der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik neue Erfolge feiert“.

Was dem Kaufhaus-Chef die

blasse Wut ins Gesicht und kalten Schweiß auf die Glatze trieb, war ein bislang einmaliger Vorfall in seiner einzelhändlerischen Karriere: Es tat sich nichts. Tot wie eine Wüstenlandschaft lag sein Duodez-Reich der bunten Warenwelt hinter einbruchsicheren

Glasscheiben. Rund 400 Horten-Verkäuferinnen wagten es, Horst Brinkmann die Gefolgschaft zu verweigern.

Sie waren nicht die einzigen, die am letzten Samstag unter den Parolen „Freizeit statt Nachtarbeit“ und „Hände weg vom Ladenschluß“ für Verkaufsschluß Punkt 18.30 Uhr streikten, statt Kunden und Kassen zu bedienen. Nicht besser als den hohen Horten-Herren ging es den Geschäftsführern von Karstadt, Leffers, Brinkmann, Quelle und dem HeimwerkerInnen -Markt Obi. Sie alle fanden statt der erhofften Kundenschlangen HBV- und DAG-Streikposten mit mülltütenähnlichen Plastik-Westen „Wir streiken“ vor den Eingangstüren. Insgesamt Bremer 1.500 Verkäuferinnen legten am Samstag die Verkaufsarbeit nieder - die meisten von ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben.

Wesentlich gelassener als bei Horten reagierte die Karstädter Konkurrenz, die nach kurzer Diskussion mit der Streikleitung die Türen geschlossen ließ und mit Schildern um Verständnis „bei den „lieben Kunden“ warb. Der eigens angereiste 2. Bundesvorsitzende der HBV, Dieter Steinborn, hatte den Kaufhaus-Göttern die Lust, den Verkaufsbetrieb mit Aushilfskräften zu improvisieren, mit der Aussicht auf postwendende Anschlußstreiks ausgetrieben.

Verständnisvoll reagierten auch die meisten WochenendeinkäuferInnen. Umstandslos sieht eine Brinkmann -Kundin ein, daß ein pünktlicher Feierabend für Tausende von Verkäuferinnen an diesem Tage wichtiger ist als ein neuer Batteriesatz für die private Fernseh-Fernbedienung, ein Computerfan verzichtet vorläufig auf den Abschuß von feindlichen Raketen auf dem heimischen Monitor per Video -Game. Nur wenige drängeln sich, von unwirschen Blicken begleitet, an den Streikposten-Ketten in den Kaufrausch. Gegen 11 Uhr setzt sich auch bei der Brinkmann -Geschäftsführung die Erkenntnis

durch, daß der Tagesumsatz vermutlich in keinem Verhältnis zum Aufwand steht, rasselnd gehen die Eingangsgitter runter.

Zuvor allerdings hatten die streikenden Brinkmann -KollegInnen Gelegenheit, nicht nur an ihren Abteilungsleitern, Prokuristen und Substituten ganze neue Seiten kennenzulernen, sondern auch an manchen KollegInnen vom Nachbartresen. Während die Geschäftsleitung Streikende per Videokamera filmen ließ, wurden die von Streibrechern aus dem zweiten Kaufhaus-Stock mit wassergefüllten Luftballons bombardiert. Auch bei Horten versuchten sich einzelne StreikbrecherInnen durch die Posten und an die Arbeit zu mogeln. „Ich bin eine freie Bürgerin und eine angehende Führungskraft“, beschwor eine weinerlich Aufstiegswillige in Gegenwart ihres Chefs immer wieder ihr Recht auf Arbeit. Was dem Geschäftsführer erstmals ein Lächeln und die Bitte abrang: „Sie müssen dazu sagen, daß das Ihre freie Entscheidung ist und ich Sie nicht bedrängt habe.“

Die große Mehrheit ließ sich am Samstag von solchen Ausfällen die Laune nicht vermiesen. Unter heißen Samba -Rhythmen zog ein fröhlicher, 1.500-köpfiger - darunter der des noch amtierenden Bremer DGB-Chefs Heinz Möller Demonstrationszug durch die Innenstadt, an dessen Spitze ein aufgeräumter HBV-Geschäftsführer bei den „lieben Bremerinnen und Bremern“ um Verständnis für die „eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten“ warb. Während in den Kaufhäusern gegen 11 Uhr auch die letzten StreikbrecherInnen unverrichteter Dinge nach Hause zogen, gab's für die Streikenden in der Glocke eine dicke Fete mit solidarisch geschmierten GEW-Brötchen, Luftballons und Musik sowie Streikgeld für eingeschriebene Gewerkschaftsmitglieder. Dazu einen Ausblick von HBV-Geschäftsführer Helmut Thiel: „Der Juni hat noch viele schöne Streiktage.“

K.S.

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