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Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9

Na endlich! Im nachdenklichen Teil der Bevölkerung trat schon die Besorgnis auf, es gebe nun gar keine kritischen Künstler mehr und die Basis müßte im promilosen Raum schweben. Dem Himmel sei Dank, es darf Entwarnung verkündet werden. Wie schon am Freitag gemeldet, konnten es zwei verdiente Kämpfer im Aufrufwesen nicht mehr länger mitansehen, wie die ADAC-Austrittswelle so ganz ohne leitende Hand, gar ohne Appell vonstatten ging. Wieso sollte der ADAC verlassen werden, wenn nicht wenigstens eine Lea Rosh oder ein Walter Jens öffentlich dazu aufgefordert hätte? Doch jetzt ist alles wieder im Lot.

Günther Grass und Klaus Staeck wollen nicht länger zum Verhalten des ADAC „schweigen“ - erstaunlich, daß sie sich überhaupt so lange zurückhielten. Sie „protestieren dagegen“ (aha) und „treten aus dem ADAC aus“. Strafverschärfend sozusagen. Gleichzeitig installieren sich die zwei Kampagnenstifter als Kontrollzentrale. Alle Aufrufunterstützer resp. Austreter sollen sich per Telefax an die Widerstandshochburgen Staeck/Grass dazu bekennen. Interessant ist es ja schon zu erfahren, wer so alles Mitglied in der kriminellen Vereinigung ist bzw. dann war. Staeck und Grass zum Beispiel. Es ist allerdings davon auszugehen, daß sie alle Mitläufer waren und gar nichts von den verbrecherischen Zielen des Autofreundeclubs wußten. Und das mit den Autobahnen, also dem Abschleppdienst und dem Auslandsservice sei doch ganz gut gewesen - so werden die jämmerlichen Ausreden im nachhinein lauten. Aber jetzt, wo es die beiden Oberaustreter so deutlich gesagt haben, kann kein/r mehr sagen, er/sie habe nichts gewußt.

Etliche symbolische Widerstandsaktionen sind schon geplant. Klaus Staeck will einen satirischen Autoaufkleber entwerfen: „Tempo 200 - der Geschmack von Freiheit und Leichenwagen“ (oh, diese drastische Staeck-Satire). Günther Grass plant auf der Avus eine Lesung wider die „Bleifüßler“, so der Schriftsteller (später als Kassette für den Autorekorder erhältlich). Heinrich Albertz organisiert die Umzingelung einer Tankstelle per Menschenkette. Dorothee Sölle gründet eine Arbeitsgruppe „Rennreifen zu Futtertrögen“. BAP und Herbert Grönemeyer werden auf einem Open-Road-Soli-Benefiz -Konzert „Rock gegen Raserei“ singen. Wolfgang Niedecken komponiert für die Kampagne extra ein neues Stück „Jub Jas -Nach“, in dem er die Horrorvision einer nächtlichen Amokfahrt heraufbeschwört. Max von der Grün, Peter Härtling und Peter Rühmkorf schicken ihre ausgebauten Gaspedale an den ADAC; Auftakt zu einer bundesweiten Sammelaktion, die darin kulminieren wird, daß die gesammelten Gaspedale vor dem ADAC-Hauptgebäude ausgeschüttet werden. Bernt Engelmann beteiligt sich an einer Autokette, die von Autofirma zu Autofirma führen wird. Leonie Ossowksi führt Bremsblockaden auf dem Kudamm durch. Udo Lindenberg schließlich wird auf einem fahrenden LKW-Anhänger deutsche Autobahnen beschallen, um den so überholenden Rasern mit flapsigem Spott ins Gewissen zu singen.

Und alle zusammen starten die Große Bahnfahrt für Tempo 100 - quer durchs Bundesgebiet. Der nächste mindestens zwölf Künstler beinhaltende Aufruf ist in zwei Wochen zu erwarten.

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