: Bruderzwist im Haus Europa
Kommunistische Fraktion im Europaparlament nur loser Arbeitszusammenhang / Europa-Konzepte klaffen weit auseinander / ItalienerInnen wollen Ausbau der Europa-Institutionen, griechische und portugiesische KommunistInnen wollen Austritt ihrer Länder aus der EG ■ Aus Brüssel H. Hörburger
Ganz genau genommen, gibt es die kommunistische Gruppe im Europaparlament nicht, und es gibt sie wiederum doch. Eine Frage der Dialektik. Wie andere politische Gruppierungen auch, verfügen die kommunistischen Parteien im Europaparlament über eine gemeinsame Infrastruktur in Brüssel. Gemeinsame Fraktionssitzungen - bei den anderen politischen Gruppierungen üblich - finden aber nicht statt: Die PCI tagt in Rom, die KPF in Paris und die anderen kommunistischen Bruderparteien - „Schwesterpartei“ hat sich sprachlich noch nicht durchgesetzt - vornehmlich zu Hause.
Derzeit besteht die kommunistische Fraktion aus 26 Italienern, zehn Franzosen, vier Griechen (aus zwei Parteien), drei Spaniern (aus drei Gruppierungen), drei Portugiesen und zwei Dänen. Vorletzte Trendmeldungen sehen für das nächste Parlament leichte Verluste für die Italiener und Franzosen voraus. Die Portugiesen. Griechen und Dänen werden voraussichtlich ihren Anteil halten. Der spanischen KP wird ein Gewinn von einem Mandat vorausgesagt, und es erscheint durchaus möglich, daß sich zum ersten Mal in der Geschichte des Europaparlaments die niederländischen Kommunisten mit einem Sitz vertreten sein werden.
Lenin und der Binnenmarkt
Die Arbeit im Europaparlament oder an der europäischen Einigung hat nicht immer die ungeteilte Zustimmung der Kommunisten gefunden, und bis zum Jahr 1961 stieß die europäische Einigungspolitik auf eine totale Opposition von seiten der westeuropäischen kommunistischen Parteien. Der Politologe Jean-Manuel Larralde führt diese Tatsache auf einen Satz in Lenins Schriften zurück. Lenin zufolge sei eine europäische Union völlig unmöglich, beziehungsweise wenn sie erfolge, so könne sie nur reaktionären Zielen dienen.
Zu Beginn der sechziger Jahre weicht die harte Ablehnungsfront gegenüber einer europäischen Einigung auf. Insbesondere in der italienischen KP macht sich eine pragmatischere Haltung breit, die schließlich dazu führt, daß die KPI 1969 eine Delegation in das - damals noch nicht direkt gewählte - Europaparlament nach Straßburg schickt. Für die französische KP bleibt dagegen Europa „ein Arm der imperialistischen Politik der großen kapitalistischen Staaten“. Erst 1973 schickt auch die KPF eine Delegation nach Straßburg. Seither gibt es im Europaparlament eine kommunistische Fraktion.
Kampf dreier Linien
Bis heute lassen sich die europäischen kommunistischen Parteien in drei Klassen unterteilen, in Pro-Europäer, Anti -Europäer und Reformatoren. Zu den Pro-Europäern gehören die italienischen und spanischen Kommunisten. Bei den Italienern spielt dabei die Angst vor den USA eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ein supranationales Organ wie die Europäische Gemeinschaft, so die geltende Lehrmeinung, könne Italien vom amerikanischen Bündnispartner unabhängiger machen. Auch die spanischen Kommunisten vertreten die Meinung, daß das Zusammenspiel der europäischen Staaten dazu beitragen könne, nationale Probleme lösen zu helfen. Ganz anderer Meinung sind da die Portugiesen und die Griechen auf der KKE. Sie kämpfen nach wie vor für einen Austritt ihrer jeweiligen Länder aus der Europäischen Gemeinschaft.
Eine mittlere Position nimmt die französische KP ein. Europa muß von der Vorherrschaft des Kapitals befreit, die europäischen Institutionen müssen demokratisiert und die Interessen der arbeitenden Klasse müssen verteidigt werden so die KPF.
Trotz aller Unterschiede gibt es doch in der Themenwahl auch einige Gemeinsamkeiten. Im Themenbereich „Frieden und Abrüstung“ herrscht die größte Übereinstimmung innerhalb der Fraktion, und sie hat sich für einen Abbau der Nuklearwaffen, einer Vernichtung der chemischen Waffen, einer substantiellen Verringerung der konventionellen Waffen und einer Nichtmilitarisierung des Weltraums ausgesprochen. Auch in der Frage der Verteidigung der Menschenrechte herrscht weitgehend Übereinstimmung - zumindest, soweit es sich bei Menschenrechtsverletzungen um nichtsozialistische Länder handelt. Das deutsche Berufsverbot wurde insbesondere zwischen 1980 und 1982 stark kritisiert, ebenso wie Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Doch im Fall von Polen (1980) oder Nicaragua (1981) ließ sich schon keine Einigkeit mehr herstellen. Die KPF sah keinen Grund, das Verbot der Solidarnosc oder die Festnahme von Oppositionellen in Nicaragua zu verurteilen - die PCI und die PCE dagegen schon. Andere Themenbereiche, bei denen weitgehend Übereinstimmung herrscht, sind der Kampf gegen die Apartheid und die Entwicklungspolitik.
Starke Unterschiede bestehen - und dies ist im übrigen bei allen politischen Gruppen so, denn das nationale Hemd ist immer näher als die internationale Hose - in der Einschätzung der Agrarpolitik und der Politikbereiche, die damit zusammenhängen.
Am unversöhnlichsten stehen sich die Kommunisten gegenüber, wenn es um die Bewegung einer künftigen europäischen Union geht. Während die KPF der Direktwahl negativ gegenüberstand und bis heute zwar eine Demokratisierung der europäischen Institutionen fordert, ansonsten aber bei ihrer negativen Grundhaltung bleibt, hat sich die KPI durchaus als treibende Kraft einer institutionellen Weiterentwicklung erwiesen. Diese Haltung ist eng mit dem Namen Spinelli verbunden. Altiero Spinelli, Jurist, war von 1970 bis 1976 Kommissar in Brüssel und seither - bis zu seinem Tod am 23.Mai 1986 Mitglied des Europaparlaments. Die KPI hatte ihn als unabhängiges Mitglied mit auf die Liste genommen. Neben entwicklungspolitischen Fragen hat sich Spinelli vor allem der europäischen Union gewidmet und die Mehrheit des Parlaments 1984 dafür gewonnen, sich dafür auszusprechen, daß die EG-Kommission eine richtige gesetzausübende Gewalt erhält und das Europaparlament eine richtige gesetzgebende Gewalt.
Die KPI bereitet Spinelli nun auf ihre Weise eine Hommage: Sie hat Maurice Duverger, einen bekannten französischen Analytiker des vergleichenden Partei- und Verfassungsrechts als parteilosen Kandidaten auf den zweiten Platz der KPI -Liste zur Europawahl nominiert. Duverger war unter drei Bedingungen einverstanden: Er will nicht der kommunistischen Fraktion angehören, er will sich einschließlich der Frage einer neuen einheitlichen Akte, also einer europäischen Verfassung widmen, und er wollte, daß Präsident Mitterrand sein Placet dazu gibt, daß er als französischer Beamter auf einer italienischen Liste kandidiert.
Wen die letzten Zeilen wundern, dem muß an dieser Stelle gesagt werden, daß eben nicht nur die KPI im besonderen, sondern Italien im allgemeinen Europa begeistert befürwortet. Italien gesteht jedem EG-Bürger, der das 25. Lebensjahr vollendet hat, das passive Wahlrecht zu. Die KPI hat bereits eine Tradition, Kandidaten aus anderen EG -Mitgliedsländern auf ihre Liste zu setzen und das Beispiel macht Schule. Der flämische Sozialist Jef Ulburghs, mit 67 Jahren zu alt für einen Listenplatz seiner eigenen Partei, wirbt im Wahlkreis Kalabrien, Sizilien und Sardinien für Stimmen auf der Liste der italienischen Regenbogenfraktion. Dabei wirbt er weniger in Süditalien, als in Belgien selbst, denn er möchte die Stimmen der italienischen Wanderarbeiter für sich gewinnen, die bei Europawahlen beim Konsulat des Wohnlandes für einen Kandidaten aus ihrem Wahlkreis stimmen dürfen.
Traum von der „Eurolinken“
Ob sich die kommunistische Fraktion nach der Europawahl wieder zusammenraufen wird, ist noch offen. Gerüchte, wonach der Vorsitzende der Sozialistischen Fraktion, Rudi Arndt, der KPI angeboten habe, der Sozialistischen Fraktion beizutreten, haben sich nicht bewahrheitet. Genau das Gegenteil, so Rudi Arndt gegenüber der taz, habe er anläßlich der Studientage der Fraktion im April 1989 im italienischen Sorrent gesagt. Man arbeite schon lange gut zusammen, eine feste fraktionelle Zusammenarbeit sei überflüssig. Im übrigen wäre eine Aufnahme der KPI auch gar nicht mit den Statuten der Sozialistischen Fraktion vereinbar, nach der nur Mitglieder der Sozialistischen Internationale in die Fraktion aufgenommen werden dürfen. Möglicherweise wird es wieder, wie gehabt, zu einer rein bürokratischen Zusammenarbeit der europäischen kommunistischen Parteien kommen. Im Gespräch ist aber auch eine engere und tatsächlich politischere Zusammenarbeit der programmatischeren Parteien wie der KPI, der spanischen und der dänischen Kommunisten. Damit käme die KPI einem alten Traum, nämlich der Schaffung einer gemeinsamen „Eurolinken“ näher. Mit der Regenbogenfraktion und der Sozialistischen Fraktion ließe sich da in einigen Themenbereichen, unter anderem auch in Umweltfragen, punktuell noch besser zusammenarbeiten als bisher.
Doch vor dem 18. Juni wagt in Brüssel niemand eine Prognose. Vieles wird vom Wahlausgang, vor allem der KPF und der KPI abhängen. Im politischen Aufwind befindet sich derzeit keiner der beiden Parteien, fragt sich nur, wer mehr Federn lassen muß.
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