: GRÜSSE VON ALI BABA
■ Vom Kammermusiksaal ins Ballhaus: Die ersten drei Haltestellen im Orient-Express
Die Griechen nennen die Panflöte mit ihrem richtigen Namen: Das geschnittene Schilf, auf dem geblasen wird - so fabuliert die Legende - ist nämlich die Nymphe Syrinx, die sich in selbiges verwandelt hat. Halbgott Pan hatte ihr einen Antrag gemacht, doch sie war nicht willig, und so brauchte er natürlich andere Mittel und schnippelte in seiner Verliebtheit die Schilf-Nymphe ab - und küßte sie brutal: flöt, flöt.
Die Syrinx ist nur eine unter vielen Blas- und Zupfinstrumenten (und hierzulande wahrscheinlich das bekannteste), die Jannis Kaimakis vom „Duo Mediterraneo“ vorzüglich bearbeitet. Und dieses Duo ist nur eine von Dutzenden Musikgruppen, die „Horizonte 89“ ausersehen hat, die Weise von der Zusammengehörigkeit von Orient und Okzident dem multikulturellen Publikum einzuflöten.
Tausend in einer Nacht
Am Samstag abend - die Glocken hatten Berlin noch nicht einmal von den himmlischen Heerscharen des Kirchentages befreit - wurde das Eröffnungs-Wandelkonzert von „Horizonte“ gleich im gesamten Philharmonie-Komplex eingeläutet. Während sich auf den Präsentiertellern von Philharmonie und Kammermusiksaal die abendländischen MusikerInnen breitmachten, fetzten im Musikinstrumentenmuseum und in den Foyers Gruppen aus Syrien, Taiwan, Istanbul und Marokko. Obgleich in die Zwischen-Räume verbannt, sorgten sie zum Teil für weitaus bessere Stimmung als das „Radio-Sinfonie -Orchester“ unter dem stechschreitenden Generalissimo Hanns -Martin Schneidt oder das „Consortium Classicum“. Von diesem Mammut-Spektakel erhoffte sich die Produktionsleiterin des 4. Festivals der Weltkulturen, Francesca Spinazzi, Berührungsängste abzubauen: „Die Leute kommen in die Philharmonie, um das RSO zu hören; da kriegen sie im Vorbeigehen Eindrücke von orientalischer Musik.“ Im Vorbeigehen: Die Rechnung ging auf - denn die okzidentale Andächtigkeit bei Beethoven oder Ravel verließ das vorwiegend okzidentale Publikum in den Foyers sofort. Neben Pop-Musik aus Marokko kam das erwähnte „Duo Meditarraneo“ am besten an.
Funktionale Musik
Dieses Duo - der Grieche Kaimakis und der ägyptische Trommelspieler Issam El-Mallah - war auch am Sonntag nachmitag im Ballhaus Naunynstraße zu hören. Über weitgehend europäischen Melodien des 13.- 16. Jahrhunderts improvisieren die beiden - zum Beispiel auf einer zum Dudelsack umgebauten Ziegenhaut. Kaimakis flötet Tänze und Lieder aus Italien, Frankreich, Spanien und Griechenland, hopst wie ein Kobold herum und rollt beschwörend mit den Augen. Er ist der Geck, der nichts so läßt, wie es ist; immer improvisiert er seine Kaskaden neu, klettert morgenländisch-fremde Tonleitern hinauf, um dann mit grinsendem Blick zur schlichten diatonischen Melodie zurückzustürzen. Sein ägyptischer Partner hat alle Finger voll zu tun, diese Spielereien aufs Trommelfell zu plazieren. Er spielt äußerst konzentriert und entlockt seinen rund zehn verschiedenen Schlaginstrumenten virtuos eigene Melodien, erzählende Rhythmen. Man hört fast gespielte Märchen, Ali Baba oder so, und als El-Mallah ein percussives Solo über arabische Rhythmen improvisiert, sind wir auf einem ägyptischen Gewürzmarkt oder in einer arabischen Karawane.
Es bleibt zwar fraglich, wie „originär“ solche Musik auf der Bühne ist. Sind doch diese Weisen, wie die Griechischen Hirtenlieder, alle eng an einen Lebenszusammenhang gebunden. Aber die beiden in Aktion zu sehen ist ein unzweifelhaft orientalisches Erlebnis.
Sakrales
Im Hebbeltheater gab's abends hauptsächlich Spanisches zu hören. Eine eher düster wirkende Singsang-Musik, die von einem unablässig umkreisten Baßton beherrscht wird, kehrt in fast allen Stücken wieder, die das Ensemble „Sarband“ aus München mit türkischen und italienischen Gastmusikern zum besten gibt. Zwei Frauen und sieben Männer importieren Klänge aus dem osmanischen Reich und dem maurischen Spanien. Sehr feierlich ist der Gesang, den sie mit mittelalterlichen Schlag-, Zupf- und Streichinstrumenten mischen, und gar fremd manchmal das arabisch-kehlige Wimmern. Der pure Kontrast sorgt noch nicht für die beschworene Verbundenheit der Kulturen.
Christian Vandersee
Heute abend, 20 Uhr, noch einmal „Duo Mediterraneo“ im Vortragssaal der Kongreßhalle
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