: Den politischen Dialog organisieren
■ Erklärung von Christian Klar, inhaftiert in Stuttgart-Stammheim, zum Abbruch des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen
Der Abbruch des Hungerstreiks: Es war zuallererst einfach die Entscheidung dagegen, für ein vielleicht noch zu erkämpfendes Stück Boden mehr, eine-n unsrer Genoss-inn-en zu verlieren. Die jetzt in den Löchern und ganz vorne gekämpft, die sind welche unserer liebsten und stärksten, die über die ganzen Jahre nie unsere Sache aufgegeben haben. Wir wollen aber jede-n für die nächsten Schritte, sie sind uns wichtiger als ein Gezerre um ein kurzfristig besseres Ergebnis des Hungerstreikkampfes. Dafür, für mehr also, hätte es allerdings auch nach dem Tod einer-s von uns noch nichtmal eine Wahrscheinlichkeit gegeben - das Sanierungskalkül der Protagonisten der „Nichterpressbarkeit“ abschätzend. Das ist korrekte Einschätzung, auch im Nachhinein. Und das Signal aus der Mobilisierung draußen war schon einige Zeit Ratlosigkeit. Da reißen die in den Löchern das dann auch nicht mehr hoch.
Die Blockade durch die CDU-Länder, Wahlstrategien - das als Deutung der Grenze verweist noch auf die Äußerlichkeit der Lage. Nein, vielmehr so: die weitere Dynamik der Konfrontation aus der Hungerstreiksituation geronn tendenziell schon in der CDU-SPD-Rivalität. Darüber nachzudenken ist, welche qualitative Dimension der Mobilisierung mangelte, daß es da hinlief. Jedenfalls reproduziert solche Tendenz (ein Moment davon: die fast-nur -Bürgerrechtsidentität) eine zusätzliche, zunächst nicht auflösbare Grenze. Und das hatte schon die angezielte politische Gestalt der Mobilisierung (nach der wir jetzt auch kritisch fragen müssen) entstellt und eingefangen in den feindlichen Kalküls der Apparatefraktionen.
Aber dann die Anstrengung eines einfach fortgeführten Kampfs überlagert von fremden Interessen aus CDU-SPD -Hegemoniestrategien, Demoskopie-Kampagnen... NEIN! Da nicht weiter mit. Denn darin kann eine ungebrochene Kontinuität nur quälend geraten, auf die Hirne der solidarischen knallen - solche Lage ist dann besser zu wenden in eine neue Etappe, in der wir den Sinn für uns erst neu setzen. Praktisch war das jetzt, den Streik abzubrechen und den ganz schmalen Anfang für wenige zu machen - für einen Sprung (ja weiter: „Wir lassen jetzt nicht mehr los“) in fortgeführter Bewegung hin zu den Zielen aus dem Text vom 1.Februar. Der Sprung wird jetzt, die von uns mit draußen angezielte politische Diskussion direkt anzufangen, ausgehend von den - noch so schmalen - Möglichkeiten der kleinen Gruppen, und dazu Initiative auch der einzelnen. Was wir am 14.April gesagt hatten: „Dann kann auch politisch weiter überlegt und in einem nächsten Anlauf gehandelt werden“ - das wird jetzt also so, erstmal unter anderen als den Bedingungen, die wir schon sofort erreichen wollten.
Und das sagen wir aber auch aus der Unterlegenheit des Hungerstreikziels jetzt: Wir freuen uns über den praktischen Anfang für einige!!! Es ist auch einer für uns alle, jeder ist das Kollektiv.
Jetzt wird es so: Alles muß sich fortbewegen über das Projekt der freien politischen Kommunikation mit draußen. Organisiert! Das ist also praktisch zu organisieren - und über dieses Projekt vermittelt ziehen wir mit neuen Schritten auch die Selbstorganisierung der Gefangenen in selbstbestimmte Gruppen weiter.
Teil der Einschätzung zum Abbruch war auch, mittelfristig wird die Zusammenlegung eher einfacher durchsetzbar. Der politische Prozeß bringt die Tendenz. Jedenfalls wurde das schon aus der Mobilisierung der letzten Monate (ihren Lernprozeß im nächsten angenommen) sichtbar.
Das bisher erkämpfte ist nicht gar so wenig. Halten wir das fest, weil darin überhaupt Momente der neuen Aufbrüche liegen. Es startete eine tiefe Wirkung der Mobilisierung in die Gesellschaft rein. Die Gleichschaltung der vergangenen Jahre ist aufgebrochen. Wirkliche Beziehungen zu ausländischen gefangenen Genoss-inn-en und zu kämpfenden sozialen Gefangenen wachsen, gerade Beziehungen zwischen den sozialen und den politischen, nicht als die alte ideologisch eingeforderte Abstraktion, die niemand je wollen konnte, sondern Kampfbeziehungen gegen die selektierende und vernichtende Knastmaschine, Beziehungen in denen jede-r in ersten Schritten von sich ausgeht hin zu gemeinsamer Perspektive befreiender Ziele. Und schließlich ist eine Mobilisierung angeschoben, die erstmals, und das ist mehr als bloße Vermutung, jetzt auch ohne sofort neue Hungerstreiks die Schritte zum Ziel hin weitertreibt.
Stammheim, den 28.5.1989
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