: Schlammschlacht für Europa
Spaniens EG-Wahlkampf wird überschattet von Skandalen / Pakt der Rechten soll Sturz der Sozialisten in Madrid forcieren / Sozialistische Gewerkschaft UGT sprach keine Wahlempfehlung für regierende PSOE aus ■ Aus Madrid Antje Bauer
Säuerlich lächelnde ältere Herren grüßen von Plakaten in U -Bahn-Schächten und düsen durch die Lande. Lautsprecherwagen quäken durch die Straßen, nächtliche Sprayer fordern zum Boykott auf: Europawahlkampf in Spanien. „Kraftvoll in Europa“, fordert der sozialistische Spitzenkandidat Fernando Moran, während sein Gegenspieler von der konservativen „Volkspartei“, Marcelino Oreja, versichert: „Wir gewinnen alle dabei.“ So recht zu unterscheiden sind die KandidatInnen der großen Parteien nicht, denn irgendwie sind alle für Europa, selbst der greise Blas Pinar, der die Wähler auffordert: „Habt Mut, wählt Nationale Front.“ Die unterschiedlichen Vorstellungen von Europa sind nur schwer verständlich zu machen, denn für die meisten Spanier hört Europa am südlichen Rand Barcelonas auf - daran haben auch zwei Jahre EG-Mitgliedschaft nichts geändert.
Daß die sozialistische Regierung die Wahlen auf einen Werktag, den 15.Juni, legen mußte, damit die Beteiligung nicht noch weiter unter die 50-Prozent-Marke fällt, hängt allerdings nicht nur mit dem Desinteresse gegenüber diesem etwas exotischen EG-Parlament zusammen. Schon Monate vorher war die Europawahl zur Testwahl für die Regierung erklärt worden, von deren Ausgang man die mögliche Ansetzung vorgezogener Neuwahlen fürs spanische Parlament erwartete. Zum ersten Mal gab die sozialistische Gewerkschaft, die UGT, ihren 900.000 Mitgliedern keine Wahlempfehlung für die PSOE. Zu tief sitzt der Groll der UGT über die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung, die ihrer Meinung nach die Reichen nur reicher und die Armen relativ ärmer mache. Der Generalstreik gegen die Sozialpolitik der Regierung vom 14.Dezember wirft noch immer lange Schatten - insofern wurde die Europawahl mit Spannung erwartet.
Doch seit April hält ein Spektakel die Spanier in Bann, das viele von ihnen wohl zur Stimmenthaltung veranlassen wird: Es ist die Schlammschlacht um Madrid. Sie begann Mitte April mit dem Übertritt zweier Abgeordneter der Zentrumspartei CDS zur sozialistischen Partei PSOE. Dieser Versuch, den sozialistischen Bürgermeister Juan Barranco, der mit einer Minderheit regiert, zu festigen, mißlang: Aufgrund der öffentlichen Empörung machten die beiden Abtrünnigen wieder einen Satz rückwärts. Am 29.Juni wird Barranco durch ein Mißtrauensvotum von „Volkspartei“ (PP) und CDS gestürzt, soviel scheint sicher.
Von ihrem neuen Pakt erwarten sich PP und CDS auch den Sturz der sozialistischen Landesregierung von Madrid. Doch der soll nun ausgerechnet an einem Landtagsabgeordneten scheitern, der sich von den Francisten über die Konservativen hin zum Führer einer regionalen Mickerpartei, der PRIM, gemausert hat. Was die PSOE diesem Herrn für die Verweigerung seiner zum Sturz des Landesfürsten Joaquin Leguina notwendigen Stimme geboten hat, entzieht sich der Kenntnis der Öffentlichkeit. Mitten in die Aufregung um diesen erneuten Kurswechsel eines Politikers platzte schließlich die Klage des Landtagsabgeordneten der „Vereinigten Linken“ (IU), Miguel Angel Olmos, gegen den Unternehmer Gustavo Duran. Dieser habe ihm im Auftrag der Rechten beträchtliche Summen für seine Stimme zum Sturz Leguinas geboten. Zum Beweis legte er einen Mitschnitt des Gesprächs vor. Die PP leitete umgehend eine parteiinterne Untersuchung ein, doch gleichzeitig wurde die Vermutung verbreitet, Duran könne im Auftrag der Sozialisten gehandelt haben, um die Rechte zu diskreditieren. Als ob damit nur der Korken von der Flasche gezogen worden wäre, folgten auf die Enthüllungen über den Madrider Sumpf Nachrichten über ähnliche Vorkommnisse in anderen Landesteilen.
Die Spanier, die zunächst den überraschenden Pakt zwischen der PP und dem CDS, der sich in den letzten Jahren ein progressives Image zuzulegen bemüht hatte, verdauen und die möglichen Konsequenzen für die nächsten Parlamentswahlen bedenken mußten, beobachten nun eine Schlammschlacht, an der alle Beteiligten gleichermaßen dreckig erscheinen. Das Stimmverhältnis könnte ähnlich ausfallen wie bei den letzten Parlamentswahlen, so die Meinungsforscher, doch wird es durch wesentlich weniger Wähler erstellt.
Einer immerhin nutzt das Wahlspektakel für seine ureigene Inszenierung: Jose Maria Ruiz Mateos, ehemaliger Besitzer des Rumasa-Konzerns, der von den Sozialisten verstaatlicht und inzwischen wieder privatisiert wurde, stellt sich auch zur Wahl. Seit er kürzlich den ehemaligen sozialistischen Wirtschaftsminister Miguel Boyer, den er für den Verlust seines Konzerns verantwortlich macht, öffentlich geohrfeigt hat, muß sich Ruiz Mateos - wieder einmal - vor der Polizei verstecken. Doch erfreut er die Öffentlichkeit durch Fotos in der Presse oder durch Auftritte auf Wahlveranstaltungen mit angeklebtem Bart und Perücke. Europawahlen? Das hausgemachte Spektakel ist viel interessanter!
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