: Boat-People dürfen nicht mehr nach Hongkong
Rund 5.500 vietnamesische Flüchtlinge müssen auf ihren Booten vor der Küste warten / 42.000 Vietnamesen beherbergt die Kronkolonie auf ihrem Territorium / Stehen Tausende vor der „zwangsweisen Rückführung“ nach Vietnam? ■ Von Chikako Yamamoto
Hongkong (taz) - Nur kurz durften sie Land betreten. Zwei Nächte nur haben sie in einem richtigen Gebäude mit einem Dach über dem Kopf schlafen können. Am Sonntag war es schon wieder vorbei mit dem Taifun und so mußten rund 75 Frauen, Männer und Kinder wieder zurück auf das Boot, das seit ihrer abenteuerlichen Flucht aus der Heimat ihr Zuhause ist.
Anders als früher werden die Boat-People aus Vietnam heute in Hongkong nicht mehr automatisch als Flüchtlinge anerkannt. Sie müssen sich jetzt alle einer Prozedur unterziehen, in der geprüft wird, ob sie „pure“ Flüchtlinge sind, oder „illegale Immigranten“, die „nur“ aus ökonomischen Gründen das Land verließen. Neuankommende Flüchtlinge sollen eigentlich in einem „detention center“ hinter Stacheldraht untergebracht werden, bis ihr Status geklärt ist. Angesichts des neuen Zustroms von Vietnamesen, die derzeit zunächst in Hongkong Zuflucht suchen, hat die Regierung Schwierigkeiten mit der Unterbringung. Als Lösung dieses Problems fiel schließlich den Behörden nichts anderes mehr ein, als gleich das Boot der Geflohenen als „detention center“ zu benutzen. Nur wenn ein Taifun sich nähert, dürfen sie auf das Festland. Dann werden sie evakuiert, zum Beispiel in den Eßsaal eines Rehabilitationszentrums für Drogenabhängige.
Als die Hongkonger Regierung am 30. Mai diese Entscheidung traf, wurden gerade 75 Leute auf zwei Booten vor der weit vom Stadtzentrum entfernten Insel Soko festgehalten. Seitdem gelangen aber immer mehr Menschen - 200, 300 und mehr pro Tag - übers Meer aus Vietnam zu der Kronkolonie. Insgesamt warten jetzt etwa 5.500 Vietnamesen auf dem Meer vor der Metropole, ob irgendwann für sie eine Unterkunft auf festen Boden geschaffen wird.
Neben den Leuten vor der Soko-Insel warten 25.000 Vietnamesen in mehreren „detention centers“ auf die Prozedur, die ihren Status bestimmen wird. Für die Behörden sind sie alle sogenannte Boat-People - eine Bezeichnung, die es in Hongkong offiziell seit dem 16. 6 . 1988 gibt. Davor wurden alle, die Vietnam auf einem Boot verließen, als „vietnamesische Flüchtlinge“ bezeichnet. Alle, die nach diesem Datum kamen, werden nur dann als Flüchtlinge behandelt, wenn sie von den Behörden als politisch Verfolgte anerkannt werden. Demzufolge sind Boat-People seit dem 16. 6. 1988 „illegale Immigranten“ und die sollen wieder nach Vietnam ausgewiesen werden.
Der Hintergrund dieser harten Maßnahmen der Hongkonger Flüchtlingspolitik, auch „screening policy“ genannt, war, daß in der Kronkolonie immer mehr Vietnamesen ankamen, während die Länder, die den Flüchtlingen endgültige Umsiedlungsmöglichkeiten geben sollten (USA, Kanada, Australien und Westeuropa), immer weniger aufnahmen. Hongkong sah sich schließlich überfordert, als in der ersten Hälfte 1988 mehr als 5.000 Menschen ankamen und die Gesamtzahl vietnamesischer Flüchtlinge auf 18.000 anstieg.
„Screening policy“ sollte abschrecken, doch diese Hoffnung trog. Sie kommen weiter. Heute hat Hongkong - 1.070 Quadratmeter, 5,5 Millionen Einwohner - etwa 42.000 Vietnamesen auf seinem Territorium. Von ihnen gelten etwa 14.500 als anerkannte Flüchtlinge. Mehr als 3.000 warten bereits länger als drei Jahre auf ihre Umsiedelung in ein drittes Land.
Die Regierung der Kronkolonie droht nun mit noch härteren Maßnahmen, falls auf der internationalen Konferenz über Indochina-Flüchtlinge, die gestern in Genf begann, keine Lösung gefunden wird. Sollten sich die 40 Teilnehmerstaaten nicht einigen, kündigte Hongkong die „zwangsweise Rückführung“ der Vietnamesen an, die nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden. Dabei gibt es in Hongkong sogar Überlegungen, das bereits erteilte Asyl für Vietnamesen wieder aufzuheben. Die Regierung befände sich in einer ausweglosen Situation: wachsende Proteste der Bevölkerung würden den Bau neuer Flüchtlingslager verhindern. Heftige Kritik übt die Kronkolonie dabei an den USA, die sich zwar einerseits gegen die zwangsweise Rückführung wehren würden, andererseits aber nicht mehr so viele Vietnamesen aufnehmen wollen. Perez für „Heimführung“
der Boat-People
Genf (afp) - UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar, hat gestern bei der Eröffnung der Genfer Flüchtlingskonferenz nationale Alleingänge bei der Lösung des Flüchtlingsproblems der vietnamesischen Boat-People abgelehnt, sich aber gleichzeitig im Prinzip für deren Heimführung ausgesprochen. Bei der Eröffnung einer internationalen Konferenz über die Lage der Indochina -Flüchtlinge erklärte Perez de Cuellar, dieses Problem könne „weder rein humanitär noch durch einseitige Gesten“ gelöst werden. Der UNO-Generalsekretär räumte ein, daß die stark steigende Zahl vietnamesischer Flüchtlinge bei manchen Regierungen ein „Gefühl der Dringlichkeit“ hervorrufe; dies dürfe jedoch nicht zu isolierten Maßnahmen führen.
Als geeignetsten Lösungsansatz bezeichnete Perez de Cuellar den jüngst erarbeiteten Aktionsplan des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), der die geordnete Ausreise von Emigranten und die freiwillige Heimkehr von Flüchtlingen in der südostasiatischen Region vorsieht. Dieser Plan sei „die bestmögliche Kombination aller verfügbaren Möglichkeiten“. Der Aktionsplan soll auf der zweitägigen Konferenz verabschiedet werden, die sich fast ausschließlich um das Thema Vietnam-Flüchtlinge kümmern will.
Das Flüchtlingsproblem in Indochina war zuletzt vor zehn Jahren auf einer internationalen Konferenz diskutiert worden. Damals hatten sich die Teilnehmer darauf geeinigt, daß die Anrainerstaaten von Vietnam, Laos und Kambodscha den aus diesen Ländern flüchtenden Menschen nur für eine Übergangszeit Asyl gewähren sollten, bis diese eine endgültige Bleibe in Staaten außerhalb der südostasiatischen Region gefunden haben.
Perez de Cuellar ging in seiner Eröffnungsrede auch auf den Kambodscha-Konflikt ein, der Anfang August Thema einer internationalen Konferenz in Paris sein wird. Der UNO -Generalsekretär bot seine Vermittlung an, um „die Formulierung und Umsetzung einer Lösung“ zu ermöglichen.
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