: „Die übliche Sorglosigkeit“
■ Internes Gutachten der Sozialbehörde empfiehlt heruntergekommene Pensionen für Flüchtlinge in Bremen
Über 600 Flüchtlinge sind zur Zeit in Bremer „Pensionen“ untergebracht, wo für einen Tagessatz von durchschnittlich 18 Mark meist mehrere AsylbewerberInnen in einem Zimmer leben. Klos, Waschbecken und Heizungen sind oft kaputt oder in schlechtem Zustand, geputzt und Bettwäsche gewaschen wird in den sogenannten Pensionen selten oder gar nicht. Trotzdem werden Asylsuchende in Bremen künftig „länger in Hotels/Pensionen wohnen müssen“. Zu diesem Ergebnis kommt der ehemalige Sozialamtsleiter Hans-Hermann Stöver in einem vom Sozialsenator in Auftrag gegebenen Gutachten zum Thema „Unterbringung von Asylbewerbern“.
Die Ergebnisse der aus Honorarmitteln finanzierten Untersuchung lagen bereits Anfang Januar vor, gingen allerdings erst jetzt den Mitgliedern der Sozialdeputation zu und sollen in dessen nächster Sitzung diskutiert werden. „Wir hatten vergessen, das Papier zu verschicken“, hieß es zur Begründung der Verzögerung gegenüber der taz im Sozialres
sort.
Mit einer Anzeige im Weser-Kurier war Gutachter Stöver auf die Suche nach Alternativen zur Unterbringung der Flüchtlinge in den teuren und häufig herutergekommenen „Pensionen“ gegangen. „Dem Amt sind eine Reihe von Angeboten zugegangen“, berichtet er, „die Bieter wollten aber in der Regel eine längerfristige vertragliche Bindung auf der Basis unseres Tagesübernachtungspreises. Zudem waren die meisten Objekte von ihrer derzeitigen Beschaffenheit her auch nicht geeignet, oder sie hatten andere Mängel. Beispiel: Das angebotene Objekt liegt in einem Industriegebiet und darf nicht zu ständigen Wohnen benutzt werden.“
Mit der Not von Flüchtlingen ist leicht Geldverdienen. Trotzdem will das Sozialressort die Unterbringung nicht selber in die Hand nehmen. Gutachter Stöver beründet: „Uns oder einem Wohlfahrtsverband würden auf jeden fall sehr viel höhere Personalkosten entstehen als bei privaten Betreibern von Hotels/Pensionen. Die in diesem Bereich
übliche Sorglosigkeit kann sich ein Wohlfahrtsverband oder eine Behörde nicht erlauben.“ Doch den Verdacht, die Behörde würde sich der Billig-Pensionen bedienen, um sich aus ihrer Verantwortung für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen zu stehlen, will Senatsdirektor Hans-Christoph Hoppensack nicht auf sich sitzen lassen: „Wir haben schon selber Häuser gekauft, aber soviele Häuser, wie sie für über 600 Flüchtlinge gebraucht würden, können Sie gar nicht kaufen.“
Gutachter Stöver rät allerdings mit einer Vergleichsrechnung vom behördlichen Hauskauf ab. 540 Mark koste die Pensionsunterbringung im Monat, Möblierung, Licht, Wasser, Heizung, Reinigung inclusive. Bis zu 430 Mark monatlich zahlt das Bremer Sozialamt für die Warmmiete. „Die Kosten liegen also nicht so ganz weit auseinander“, urteilt Stöver, „das Problem ist aber, daß ein Einzelmieter mehr Wohnfläche zur Verfügung hat. Dafür trägt der Vermieter einer Pension aber auch das Risiko, daß sein An
gebot womöglich von heute auf morgen nicht mehr gebraucht wird.“
Und genau darauf hofft die Sozialbehörde. Obwohl die Zahl von 600 Flüchtlingen in „Pensionen“ noch nie so hoch war wie heute, sieht Senatsdirektor Hoppensack „deutliche Anzeichen, daß die Asylbewerber-Zahlen drastisch nach unten gehen.“ Dafür wird nicht nur die Politik der Bundesregierung sorgen. Gutachter Stöver hat auch eine Bremer Maßnahme gleich selbst in die Wege geleitet.
Das Hauptgesundheitsamt wurde schriftlich aufgefordert, die Umverteilung von Flüchtlingen auf andere Bundesländer nicht immer wieder durch Reiseunfähigkeits-Bescheinigungen zu verhindern. „Die Ärzte scheinen in ihrer Beurteilung allgemeine/persönliche asylpolitische Vorstellungen einbezogen zu haben“, hatte Stöver moniert. Senatsdirektor Hoppensack formuliert es so: „Laßt Euer gutes Herz auch sprechen, aber nicht überwiegend.“
Ase
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