: Er stand einfach auf und ging
■ Tagesthemen vom 12.6. und 13.6.
Gerd Müller, das war, das weiß ein jeder Fußballfan, der Stürmerstar von Bayern München, der mit seinen kurzen Säbelbeinen immer den richtigen Riecher hatte um dem schnellen Leder noch einen letzten Drall zu geben. Denjenigen in des Gegners Tor. Doch seit Montag abend verbinden wir mit dem Allerweltsnamen etwas anderes.
Da war nämlich ein junger Sinologie-Student, der seit einem Jahr in Peking studierte. Er hatte gute Kontakte zu seinen Kommilitonen, die auf dem Platz des Himmlichen Friedens für mehr Demokratie demonstrierten. Als dieses Aufbegehren blutig von den Panzern der Altvorderen niedergemacht wurde und der junge Müller zurück in die Bundesrepublik kam, wurde er straks, als Zeitzeuge sozusagen, vor die Kameras der Tagesthemen geholt, um zu berichten von den Intentionen seiner Kommilitonen und deren Beweggründen.
Doch was dann geschah, das war alles andere als das allabendliche narkotisierende Fersehzermoniell. Das TV war, sozusagen live, mit dem wirklichen Leben konfrontiert. Und das, wir wußten es längst, läßt sich nicht in das eingefahrene Frage-Antwort Spiel des professionellen Herrn Friedrichs pressen. Da saß er nun, der junge Gerd Müller und abertausend erwartungsvolle Augenpaare waren erwartungsvoll auf ihn gerichtet, um von ihm zu erfahren, wie er das erlebt hat, das Ende der Demokratiebewegung in Peking. Doch da passierte das, was wir alle kennen, wenn uns etwas Besonderes am Herzen liegt, wenn wir mit Nachdruck etwas erklären wollen: Es bildet sich ein Kloß im Hals, und heraus kommt nichts.
Nun ist das Nichts, spätestens seit Bölls Kurzgeschichte vom gesammelten Schweigen des Dr. Murkes, kein einfaches Schweigen, sondern es ist eines von hoher Qualität, findet es doch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen statt. Das aber kann Friedrichs nicht ertragen, und so gab er die Antworten auf die Fragen, die er selber stellte. Doch das hat, so vermute ich, den armen Gerd noch mehr aus der Fassung gebracht. Und so, wir haben es gesehen, stand er einfach auf, murmelte „Ich kann das einfach nicht“ und ging aus dem Bild. Einfach so, den Stuhl im Frankfurter Studio alleine lassend und den verdutzten Frager in Hamburg dazu.
Am nächsten Abend hat nun der alte Medienhase Friedrichs nachgekartet und eine Erklärung für den abrupten Weggang des Gerd Müller geliefert. Daß es ihm gut gehe, und daß es sich hier um einen Black-out gehandelt habe, der auf die Filmeinspielungen aus dem fernen Peking zurückzuführen seien, und daß das alles gar nicht schlimm sei. Und das ist gut so, daß dieser Friedrichs das so gemacht hat, daß er den Gerd Müller mit seinem Schweigen und seiner Angst, versagt zu haben, nicht alleine gelassen hat. Und deshalb lieben wir ihn auch alle so, den Joachim Friedrichs - und den schweigsamen Gerd Müller auch.
KS
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