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„Erstmal wächst der Flüchtlingsstrom“

Christel Neudeck, Sprecherin des Komitees Cap Anamur, fordert Kontrollen über das Schicksal der Rückkehrer  ■  I N T E R V I E W

Auf freiwillige Rückkehr der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus den überfüllten Lagern Südostasiens und die Fortsetzung des in Vietnam begonnenen legalen Ausreiseprogramms setzt ein Plan, den das UNO -Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) bei einer Sitzung in den vergangenen beiden Tagen ausgearbeitet hat, um die Probleme der „boat-people“ zu lösen. Die freiwillige Rückwanderung von Flüchtlingen in ihre Heimatländer, vor allem also nach Vietnam, wurde von den meisten der 44 teilnehmenden Länder auf Dauer gesehen als die beste Lösung eingestuft. Christel Neudeck, Sprecherin des Komitees Cap Anamur, das Flüchtlinge auf hoher See rettet, steht dem jedoch skeptisch gegenüber.

taz: Wenn die Flüchtlinge zurückgeführt werden sollen, wie das in Genf angestrebt wurde, was erwartet sie dann zu Hause?

Neudeck: Im vergangenen Jahr sind bereits 79 Flüchtlinge nach Vietnam zurückgekehrt. Doch die Angst der Flüchtlinge vor Repressalien ist groß. Deshalb müßte Vietnam die Zusage geben, daß im Land selbst Kontrollen über den Verbleib der Flüchtlinge durchgeführt werden können.

Ist es realistisch, daß Vietnam diese Kontrolle gewähren könnte?

Vietnam hat ja in letzter Zeit zweifellos begonnen, sich zu öffnen. Große Bedeutung messen wir auch der Tatsache bei, daß der Abzug der Vietnamesen aus Kambodscha am 30.September abgeschlossen sein wird, was das Land wirtschaftlich entlasten wird. Auch daß Vietnam mittlerweile akzeptiert, daß wir unter dem Namen unseres Rettungsschiffes in Vietnam arbeiten können, zeigt, daß wir etwas Hoffnung haben können.

Wie würden sie die Lage derzeit auf See beschreiben?

Sie ist katastrophal. Wir haben nur noch ein kleines Schiff, daß keine Flüchtlinge mehr aufnehmen kann, sondern nur verhindert, daß Boote von Piraten überfallen werden. Am 24.März ist eine ganz schlimme Geschichte passiert. 45 Flüchtlinge wurden erschlagen, die Leichen von Booten überfahren und 14 Frauen wahrscheinlich in die Bordells von Bangkok verschleppt. Wir haben den Eindruck, daß die Anrainerstaaten eine wirksame Anti-Piratenpolitik machen. Die Abschreckungspolitik geht zu weit.

In der Resolution in Genf wird von der Rückführung von Wirtschaftsflüchtlingen im Gegensatz zu den politischen Flüchtlingen gesprochen, denen Asyl gewährt werden soll. Was halten Sie von dieser Differenzierung?

Man muß sich die Realität anschauen. Alles andere ist viel Gequatsche. Wenn ich an Bord der Cap Anamur stand, traute ich mir nicht zu zu entscheiden: du bist Wirtschaftsflüchtling, dich lasse ich absaufen.

Interview: Jürgen Kremb

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