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Vorwärts Sommerfrische

■ Die große Grünauer Ruderregatta in Ostberlin: gute Leistungen bei Volksfestcharakter / Leistung lohnt sich - auch hier

Berlin (taz) - Gut eine halbe Stunde mit der S-Bahn vom Alexanderplatz braucht es nur bis zum Wannsee sozialistischer Prägung, dem Flüßchen Dahme, dessen Ufer an normalen Tagen nicht halb so überlaufen sind wie beim westlichen Pendant. Bei der „Großen Grünauer Ruderregatta“, ausgetragen auf der alten Olympiaregattastrecke, drängelt man sich freilich auch drüben.

Ob im Regelfall indiskutabler Wasserverhältnisse, auch „Sturzacker“ genannt, und verursacht von unbeirrt neben der Strecke fahrenden Ausflugs- und Lastkähnen ist der Cours beim rennrudernden Volk ebenso verschrien, wie bei den Zuschauern beliebt. Letztere nämlich haben einen herrlichen Blick auf das malerische Ufer mit gutrenovierten Herrenhäusern auf Köpenicker Seite, Bier (oder Limo) vom Faß, Würstchen, einer Kapelle und nicht zuletzt spannende Rennen (was will Mensch mehr?).

All diese Annehmlichkeiten haben am Samstag rund 1.500 und am Sonntag noch mehr Fans angelockt. Sportlich gibt es kaum Überraschungen an diesem Wochenende. Bei den Frauen der Altersklasse A (unbeschränkt) beherrschen die DDR -Clubmannschaften den Siegersteg. Mit hochkarätigen Besetzungen aus Olympiasigerinnen und Weltmeisterinnen wird in überragender Manier alles bis auf je einen Sieg für Rumänien im Einer und Doppelzweier abgeräumt.

Respektabel schneidet der am Dortmunder Stützpunkt trainierende „Zweier ohne“, Werremeier/Althoff, ab, die mit einem zweiten und einem dritten Platz absolutes Weltklasseniveau zeigen. Die DDR-Männer sind ähnlich überlegen: Im wesentlichen von eigener Konkurrenz eher belästigt als bedrängt fahren die Olympiasieger und Weltmeister im „Vierer ohne“ und im „Vierer mit“ ihre Sieger nach Hause.

Die „Bundis“ (West) in der Besetzung Korte/Lütkefels/Klapheck/Schweppe und Steuermann Groß schlagen sich tapfer und können an beiden Tagen Dritte werden. Im Einer wird Thomas Lange (DDR) seiner Favoritenrolle gerecht und wird mit einem kurzen, trockenen Endspurt souverän Dopppelsieger am Samstag und Sonntag.

Absolut überragend zeigt sich der Dortmunder Achter: Er hat an beiden Tagen keine große Mühe, die Konkurrenz in Schach zu halten. Auf dieses Boot, bis auf Wessling und Klein (Stm.) gegenüber dem Achter von Seoul völlig neu besetzt, darf man gespannt sein. Der Achter bekommt in Grünau eine ausführliche Kommentierung und, wie alle Gastboote, großen Beifall.

Absoluter Publikumsrenner sind allerdings zwei Einlagerennen mit DDR-Altcracks der Klassen unter und über Vierzig. Frenetisch angefeuert von ganzen Scharen von Frauen und Kindern und von Nostalgie gedopt geben die Altheroen der Rudergeschichte das letzte auf der mit Bedacht um die Hälfte verkürzten 1000-m-Distanz.

Überhaupt, das Publlikum: fachkundig, fair und kinderreich; die Tribüne gerät zum Laufsteg der ehemaligen Rennruderer, die den Ex-Kollegen stolz den Nachwuchs präsentieren und von der sozialistischen Karriere berichten (O-Ton Ost: „Jetze Reichsbahnobersekretär mit drei treue Pickel, is kumpel, Alta“).

Der Zusammenhalt scheint größer zu sein als hierzulande, im Gespräch mit einem Ruderkollegen stellt sich heraus wieso: bis zu vier Trainingseinheiten a anderthalb bis zwei Stunden werden täglich zusammen absolviert. Das bedeutet viehische Kilometerumfänge von bis zu 9.000 im Jahr (Km-Leistung West im Olympiajahr: 5.000). Die Leistung, die, wenn von Erfolg gekrönt, mit Auto, Wohnung und einem erquicklichen Monatseinkommen (Fernseher, Videorecorder, Stereoanlage) entlohnt wird, kann nur zusammen erbracht werden.

Wie sagt der Ossi? - „Im Gollektiv!“

Matthias Mellinghaus

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