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Die Bühne in der Hand der Bürger

■ Die Mannheimer feiern 150 Jahre kommunalisiertes Theater

1989 ist das Jahr der Jubiläen: Chaplin, Cocteau, die Französische Revolution, das Grundgesetz. Für die Mannheimer ist es auch ein Jubiläumsjahr, denn ihr immerhin 200 Jahre altes Theater wurde vor genau 150 Jahren von der Stadt in eigene Regie übernommen. Ob es jemals ein Nationaltheater war, wie es sich heute noch nennt, ob es den Gedanken der Nation förderte und identitätsstiftend wirkte, darüber läßt sich streiten. Unstrittig ist, daß die endgültige Ablösung der Bühne vom Hofe des Kurfürsten ein entscheidender Schritt in die Richtung des Theaters war, wie wir es heute kennen. Es gewann Eigenständigkeit und bereitete fortan dem Stadtsäckel Probleme. Mannheim ist das früheste Beispiel dafür, wie die Bürger ihr Theater nicht nur lokal ins Herz der Stadt rückten.

Dort steht es heute immer noch, hat aber ausgerechnet zu seinem Jubiläum einen Sturm mittlerer Güte überstanden. Die total verschuldete Stadt wollte dem Theater Mittel streichen, Intendant, Schauspieldirektor und Generalmusikdirektor drohten daraufhin mit Rücktritt. Der Kelch ging nochmal an den Mannheimern vorbei. Man einigte sich - wohl nicht zuletzt, weil der Magistrat nicht so ohne weiteres an der Theater-Liebe der Mannheimer vorbeiregieren konnte. Denn wenn selbst angesehene Geschäftsleute wie der Chef eines Mannheimer Bekleidungshauses mit der Drehorgel auf die Straße gehen, um für das Theater zu sammeln, müssen Stadträte großzügig bleiben.

Es war nicht das einzig Erschütternde für das theaterliebende Mannheimer Publikum. Ihr Schauspieldirektor Jürgen Bosse hatte sie in Richtung Stuttgart verlassen, eine völlig neue Mannschaft spielte sich auf den Mannheimer Theaterbrettern ein. Vom neuen Leiter, Nicolas Brieger, hatte man noch nicht soviel gehört. Es wurde gerätselt, warum er auf seine Karriere als Film- und Fernsehschauspieler verzichtete und die aufreibende Arbeit übernahm. Man war skeptisch am Anfang.

Das hat sich inzwischen geändert. Denn die neue Mannschaft brachte frischen Wind und eine Reihe ansehnlicher Aufführungen - auch junger Regisseure wie Daniel Karasek und Bruno Klimek - auf die Nationaltheater-Bühne. Nicolas Brieger selbst hat Kleists Käthchen von Heilbronn gelungen in Szene gesetzt und jetzt, zum Ende seiner ersten Spielzeit, Büchners Leonce und Lena fertiggestellt - ein Stück, das gut zum Jubiläum paßt. Nicht nur, daß Büchner es gerade drei Jahre vor der Kommunalisierung des Nationaltheaters schrieb, so wie Brieger das absurde Märchenspiel um den Prinzen aus dem Reiche Popo und die Prinzessin aus dem Reiche Pipi inszenierte, ist es ein Kommentar zu 150 Jahren Aufklärung und Fortschritt, die seit Büchner und der Kommunalisierung vergangen sind. Es wirkt wie ein Stopsignal gegen aufkommende Jubiläumseuphorie.

Im Reiche Popo, in dem man mit dem Fernglas die Reichsgrenzen sehen kann, sollen die beiden Königskinder verheiratet werden. Sie fliehen, aber der Zufall führt sie doch zusammen, und durch die Heirat wird aus zwei kleinen Staaten ein etwas größerer. Gemeinschaft und ein neuer nach vorne weisender politischer Wille entstehen allerdings nicht. Leonce, der von seinem Vater die Regierungsgeschäfte in die Hände gelegt bekommt, reagiert eher zynisch. Briegers Inszenierung übersetzt Büchners skeptische Sicht in zum Teil mechanisierte Bühnenabläufe. Das mit Romantik-Zitaten gespickte Spiel erfährt eine Dehnung - die Zeit vergeht nicht mehr so glatt, wie man das außerhalb des Theaters gewohnt ist. Dadurch fühlte sich wohl auch ein Teil des Mannheimer Premierenpublikums in seinem Zeitnerv getroffen. Nach der Pause gab es Lücken in den Zuschauerreihen.

Die Ungeduldigen haben den Schluß versäumt. Dann stehen Leonce und Lena in einem bittersüßen „Happy-End“ endlich vor dem Traualtar - als Automaten. Man ahnt, welche Hölle den beiden bevorsteht und wie sich alles weiter im Kreise drehen wird. Für das Mannheimer Publikum allerdings geht das Jubiläum nach der Theater-Sommerpause weiter: mit einem Festprogramm; einem Symposion über „Begriff und Wirklichkeit des Nationaltheaters„; der Uraufführung eines Stückes von Thomas Brasch, das dieser für das Mannheimer Theater geschrieben hat - „Tod den Vorgesetzten“.

Jürgen Berger

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