Berlin - ein Muster ohne Wert

Berlin ist kein Aktivposten für die Probleme der Grünen  ■ K O M M E N T A R E

Von jenem kollektiven Rot-Grün-Wahn, der seinen Ausgang nahm mit Christian Ströbeles fulminanter Rede vor dem Parteitag der Grünen Anfang März, ist vier Monate später nicht mehr viel geblieben. Die Ergebnisse der Europawahl, die eigentlich eine Niederlage für die Grünen sind, machen aus dem Berliner Politik-Biotop fast ein Muster ohne Wert. Mit dem mageren Zugewinn im Rücken kann keiner mehr glauben, die Grünen seien das privilegierte Subjekt der Geschichte, welches däumchendrehend drauf warten darf, die Ernte einzufahren.

Die rot-grüne Koalition in Berlin hat offenbar nicht dazu beigetragen, über die Regierungsbeteiligung den Grünen bisher verschlossene Wählerschichten zuzuführen. Die Ergebnisse des alternativen Regierungsmanagements sind auch zu mager, um Schubwirkung zu zeigen. Möglicherweise gibt es gar eine für die Partei alarmierende Entwicklung, gebraut aus zwei gegenläufigen Motiven. Die einen wählen Grün nicht, weil die Partei noch für unberechenbare Veränderungen steht. Für andere sind sie dagegen schon zu sehr Teil des Parteiensystems, um noch klare Opposition zu sein, wie sie derzeit einzig die „Republikaner“ darstellen.

In Berlin bleibt der Nachweis noch aus, was grüne Mitverantwortung für die Menschen bringt und wie grassierende Zukunftsängste gebannt werden können; hinzu kommen hausgemachte Probleme der Partei. Bis zum Jahresbeginn mochte man gutwillig den internen Clinch als Lebendigkeit umstricken, jetzt haben die Grünen die Betulichkeit einer Mittelstandsvereinigung. Die Partei erweckt den Eindruck, sie mache einen Kurs in Biederkeit durch, die sie mit Reife verwechselt. Regierungshandeln aber ist mehr als die Fähigkeit zur Amtsstubenverwaltung. Daneben hat man den Verdacht, die Partei vertage über die Vorbereitung zum Mitregieren ihre Rolle als oppositionelle Kraft.

Zugleich sind die Antworten der Grünen auf den gesellschaftlichen Wandel der Bundesrepublik noch viel zu ungeformt, als daß damit Staat bei verunsicherten und orientierungslosen Menschen zu machen ist. So zu tun, als seien „Republikaner„-Wähler nur ein Problem anderer Parteien, kann sich als bedrohliche Fehleinschätzung erweisen: Wenn die Jungwähler die REPs wählen, dann haben vor allem die Grünen versagt. Mit einem Hauruck -Antifaschismus darauf zu reagieren, geht fehl - den Menschen muß vielmehr eine Aufbruchstimmung vermittelt werden, für die in der bundesdeutschen Parteienlandschaft derzeit nur Schönhuber steht. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die Partei gezwungen, um Menschen zu ringen, statt darauf zu warten, daß die ihnen von selbst in die Arme laufen. Berlin könnte bei dieser Bewährungsprobe ein Aktivposten sein - derzeit ist es das nicht.

Gerd Nowakowski