„Ich war ein sehr guter Zionist“

■ Zu Gast in Bremen: Dr. Shmuel Amir - der sich 1937 von Berlin nach Palästina rettete - erzählt, warum er gegen Groß-Israel ist

Dr. Shmuel Amir heißt der ältere, hochpolitische Herr aus Israel, der deutsch spricht und derzeit mit einem PLO -Vertreter durch europäische Städte tourt - und sich für einen palästinensischen Staat an der Seite Israels ausspricht. Wenn Dr. Shmuel Amir gefragt wird, warum aus ihm, dem Überlebenden des Holocaust, ein friedensbewegter Israeli geworden ist, sagt er: „Das geht sehr lange zurück. Auf meine Zeit in Berlin.“ Dort ist er 1924 geboren. Die älteren Geschwister waren Sozialisten oder Kommunisten: „Schon damals stand ich unter dem Einfluß der linken Bewegung. Obwohl ich ein kleiner Junge war: In solchen Jahren wird man politisch. Überall war der 'Stürmer‘ an Holztafeln aufgeschlagen. Das konnte man gar nicht übersehen.“ Ende 1937 schickten ihn seine Eltern außer Landes, nach Palästina. Seine Eltern, seine Schwester und viele, viele Verwandte fielen der Juden

verfolgung zum Opfer.

Die Lehre aus dem Holocaust, die Shmuel Amir zieht, heißt: „Schuld ist der Rassismus.“ Shmuel Amir: „Ich wußte, die einzigen, die gegen die Nazis sind, sind die Linken.“ Und er sagt, über die, die andere Lehren zogen: „Das große Unglück ist, daß viele Juden, die der Verfolgung entkamen, die Haltung des 'für-sich-selbst-sorgen‘ entwickelt haben.“ Diese Haltung äußere sich als „engstirniger Nationalismus“.

Als Jugendlicher in Palästina angekommen, erlebte Shmuel Amir auf einer landwirtschaftlichen Schule „eine starke Kameraderie und Solidarität: Wir hatten nicht viel zu essen und zu trinken, waren hingegeben an eine Idee.“ Er gründete mitEnthusiasmus einen Kibbuz im Süden, in der Nähe der Stadt Beersheba und sagt von sich im Nachhinein: „Ich war ein sehr guter Zionist.“ Was hat er damals über

die einheimischen Araber gedacht? „Die Araber waren für einen Zionisten die, die man eigentlich nicht sieht.“ Der Boden, auf dem der Kibbuz errichtet wurde, war zwar Arabern abgekauft worden, aber die galten bei den modern bewässernden Kibbuzniks als „Beduinen mit halber Wüstenlandwirtschaft.“

Im Nahostkrieg von '48 hat er mit einer kleinen Besatzung seinen Kibbuz verteidigt. Und die Vertreibung der palästinensischen Araber? „Ich habe es nicht gesehen, ich habe es kaum gesehen“, sagt Dr. Amir und fügt hinzu: „Ich habe es auch praktisch nicht gesehen, denn ich war die ganze Zeit im Kibbuz. Ich habe es in der Zeitung gelesen. - Der Glaube damals war, daß die Araber geflohen sind.“ In der israelischen Öffentlichkeit sei erst gegenwärtig die offene Kontroverse unter Historikern ausgebrochen über diese „Flucht“, die doch eindeutig eine „Vertrei

bung“ gewesen sei. „Das ist heute die heißeste Diskussion, die es in Israel gibt.“

Die ersten Jahrzehnte in Israel war Shmuel Amir Mitglied in verschiedenen Parteien. Zunächt in „Mapam“, dann nach einer Abspaltung des linken Flügels 1952 in der KP, die arabische und jüdische Mitglieder hatte: „Das war das erste Mal, daß ich mit Arabern auf gleichberechtigter Ebene zusammenkam.“ Im zweiten Weltkrieg war er zum glühenden Bewunderer der roten Armee geworden: „Shukow und diese Admirale waren große Helden für uns. Während Stalingrad war ich in Israel jeden Tag vor dem Radio. Denn Rommel stand zur gleichen Zeit vor El Alamein (bei Alexandria). Ich war damals 17 Jahre alt.“ Den Stalinismus wollte er aber nicht verteidigen, so trat er schließlich aus der KP aus. Seit die israelische Armee die Westbank und den Gazastreifen besetzt hält, seit 1967, kämpft

Shmuel Amir gegen die „schleichende Annektion“. Er war einer der Begründer der Gruppe „Frieden und Sicherheit“. Heute gebe es rund vierzig Friedensgruppen, ähnlich unseren Bürgerinitiativen: „Je mehr, desto besser.“ Es gebe Frauengruppen, Künstlerzusammenschlüsse, Wehrdienstverweigerer-Initiaven: „Mein Sohn war 1979 der erste, der dreimal im Gefängnis war, wegen Wehrdienstverweigerung. Drei mal fünfunddreißig Tage.“ Shmuel Amir selbst ist jetzt aktiv in der „größten dieser Gruppen“ - in „Daj Lakibusch“, zu deutsch „Ende der Besatzung“. Diese Gruppe fordert: Zwei Staaten für zwei Völker.

Wie war das, als die PLO das Existenzrecht Israels offiziell anerkannt hat? „Das war Wind in unserem Rücken. Das hat uns sehr geholfen.“ Während die Friedensbewegung sich seit der Intifada stetig vergrößere, würden die israelischen Nationalisten

nicht zahlenmäßig stärker. Dafür aber immer rechtsextremer. „Die Siedler haben eine wahnsinnig Wut. Sie denken, das Land gehört ihnen. Aber wenn sie durchfahren, bekommen sie von jeder Seite Steine ab. Die Intifada bedroht sie, denn sie wissen, wenn die Intifada durchhält, müssen sie ihre Siedlungen verlassen.“

Und er selbst, wie sieht der pensionierte Agrarwissenschaftler Dr. Shmuel Amir die Zukunft? „Ich bin Optimist“ sagt er in seiner heiteren gelassenen Art, dann verbessert er sich. Er sei ein „Optipessimist“. Pessmistisch stimme ihn: „Jeden Tag werden Leute getötet.Und die Israelis, die leiden auch, die sterben auch, kriegen Steine ab, müssen zum Militär.“ Dann sagt der Optimist Shmuel Amir: „Aber es gibt nur eine Lösung, die zwei-Staaten-Lösung. Wir in der Friedensbewegung sind die einzigen israelischen Patrioten.“

Barbara Debus