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Buntes Völkchen: großartig!

■ Das CEAG-Projekt in Dortmund und ein Buch über Kulturzentren in Nordrhein-Westfalen

Petra Höfer

Phillip Boa, Popstar aus Dortmund-Wellinghofen, Vater, Hausbesitzer und anständiger Mensch, hätte „das Ding lieber besetzt und auf dem Dach gespielt“. Das wäre erstens eine lustigere Party geworden, hätte zweitens „die ganze Sache etwas hochgekocht“ und damit drittens umfassendes Medieninteresse gesichert. Phillip Boa hat sich nicht durchsetzen können. Das Benefizkonzert (mit Boa und Rocktheater Nachtschicht) für das - wenn's dann klappt erste und größte Rockmusikprojekt der Bundesrepublik in Dortmund kostete 1.000 Mark Miete: Die Party fand im Saale statt.

„Das Ding“, das Boa gern besetzt hätte, ist ein 4.500 Quadratmeter großes, einigermaßen verwahrlostes Industrieungetüm an der Dortmunder Münsterstraße, in dem einst der CEAG-Konzern residierte und das seit gut vier Jahren von Dortmunder Musikern und ein paar sonstig Kulturschaffenden genutzt wird - mit offiziellen Mietverträgen. Besetzen lohnt lang nicht mehr. Vor gut einem halben Jahr hat den alten Kasten die nordrhein-westfälische Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) gekauft, die strukturwandelnd die ganzen alten Industriebranchen der Region übernimmt und nachschaut, was damit Zukunftsträchtiges anzufangen sei. Und der neue haus- und grundbesitzende Feind hält die CEAG-Türen zwecks Imageaufwertung diesmal sperrangelweit offen.

Daß die Türen der zahlreichen Fabrikruinen des Reviers den unorganisiert unkommerziellen Kulturproduzenten einst vorwiegend verschlossen blieben oder hinter ihnen zugeworfen wurden, beweist rechtzeitig zum CEAG-„Gerangel“ ein neues Buch des Essener 'Klartext'-Verlags: In Zechen, Bahnhöfen und Lagerhallen. Zwischen Politik und Kommerz Soziokulturelle Zentren in NRW vermeldet auf 224 Seiten Scheitern und Wandel der alternativen Kultur- und Kommunikationszentren (Zitat: „Fürchterliches Wort, nicht?“) im Land von Maloche, Trinkhallen und Schrebergärten, wo die Leute so dicht aufeinanderhocken, daß die Stadtgrenzen kaum sichtbar sind. Die öden Weiten des Münster- und Sauerlands, anerkannte Großstädte wie Düsseldorf oder Köln und selbst Alternativhochburgen wie Münster finden dort allerdings höchstens am Rande Erwähnung. Die Herausgeber Claßen / Krüger / Thole waren bereits maßgeblich verantwortlich für die Ausstellung Jugend im Revier.

Das Zentrumsbuch ist also eher eine Ruhrgebietschronik der Bewegung. Auch die Geschichte eines Protests, dessen Kampfmittel mittlerweile vor lauter Wohlwollen des Establishments zum Happening degradiert werden. Im Gegensatz zum 82er Kampf um den Dortmunder Heidehof etwa würde niemand (außer Phillip Boa) das alte CEAG-Gebäude heute ernsthaft besetzen wollen.

„Nach zehn Jahren merkst du einfach, daß die Bewegung sich geändert hat“, wird ein Mitarbeiter des Duisburger Eschhaus im NRW-Buch zitiert. Nach zehn Jahren sind die Feindbilder offenbar verwischt, ist antikapitalistische Alternativkultur längst integriert in ein System von Kosten und Nutzen.

Kurt Biedenkopf (CDU) etwa findet derweil das „bunte Völkchen“, das so kulturvoll die leerstehenden Industriebranchen besetzt, ganz „großartig“ (im Buch zitiert aus einer Rede Biedenkopfs anläßlich einer kommunalpolitischen Tagung). Selbstverwaltet widerborstige Kulturzentren werden längst publicitywirksam zur Standortprofilierung von Städten und Kommunen benutzt. Alte Beton-Sozi-Städte wie Dortmund holen sich ehemalige Aktivisten wie Kurt Eichler vom Lehrlingstheater als Chef ins Kulturbüro und betreiben eine örtliche Kulturförderung, die - so Horst Stölzig, zuständiger Sachbearbeiter des CEAG -Projekts - nicht nur im Bereich des freien Theaters „bundesweite Bedeutung“ habe und „sowieso beispielhaft“ sei.

Offenbar wirft man gerade in den Malocherregionen derweil bereitwillig Geld fürs alternative Dekor aus den Stadthausfenstern. Die Renovierung des wegen unklarer Besitz - und Nutzungsverhältnisse heruntergekommen CEAG-Gebäudes in Dortmund etwa dürfte zwischen 500.000 und 2 Millionen Mark kosten. Unentgeltiche Eigenarbeit der Nutzer in handwerklich weniger anspruchsvollen Bereichen einkalkuliert. LEG -Projektleiterin Anne Schüler: „Das ist ein so großer Kasten, daß man überhaupt keine Prognose wagen kann, wieviel die Renovierung tatsächlich kostet.“

Neben Heizung und Schallisolierung als unberechenbare Größe, weiß man auch keineswegs genau, was alles kaputt ist. Von den 30 bis 100 Bands (die Zahlen schwanken je nach Quelle erheblich), von denen zur Zeit 46 einen bisher ungekündigten Mietvertrag in der Tasche haben, erwiesen sich bisher lediglich einige professionell arbeitende Heavy Metal Bands (!) als ordnungsliebend und renovierfreudig. Einbrüche, Diebstahl und Lärmbelästigung sind in der hausmeisterfreien Zone ansonsten an der Tagesordnung.

Doch Stadt und Land handeln im Fall des CEAG-Projekts durchaus nicht uneigennützig. Renovierung und Umbau (aus Mitteln des „Grundstückfonds Ruhr“ und dem sogenannten „Zöpfel-Topf“ für soziokulturelle Zentren) sowie der 1989 bereits gewährte Betriebskostenzuschuß von 20.000 DM aus Mitteln des Dortmunder Kulturbüros erweisen sich im Vergleich zum vollsubventionierten städtischen Kulturbetrieb als vergleichsweise preiswerte Standortaufwertung.

Das stets als kulturelles Provinz-Ei verlachte Land der Schwerindustrie nämlich hat einen handfesten Vorteil von selbstgemachter Popmusik: Es steht damit irgendwann besser da als die Standortkonkurrenz, es präsentiert Niveau, Anspruch, eine kreative Jugend und vor allem Abendgestaltungsangebote und Schöner-Wohnen-Gegenden für die Managerklientel. Kultur zieht da besonders gut. Die akademisch (d.h. mit überdurchschnittlich vielen Theater-, Popkonzert-, Kino- und Gastronomiebesuchern) durchsetzten Wohnviertel gehören längst zu den begehrtesten in Dortmund. Der Neubau in der grünen Einöde der Randgebiete ist auch hier aus der Mode geraten.

Dortmunds Kulturdezernent Langemeyer spricht sich in solcher Aufbruchstimmung schon mal öffentlich für die Förderungstauglichkeit der Stadtmusikanten im CEAG aus, wenn das ehrgeizige Großprojekt mit Proberäumen (maximale Miete: zwei Mark pro Quadratmeter), Gastronomie, Konzertsaal, PA -Verleih, Rockmusikagentur und Übernachtungsmöglichkeiten für auswärtige Bands (nebst Toiletten, Duschen und Kaffeeküchen auf jeder Etage) offiziell noch gar nicht beschlossen ist. Die „urbane“ Ausstrahlung städtisch geförderter Popmusik nutzt schließlich nicht nur der Nordstadt, jenem schmuddelig preiswerten Altbauviertel, das hinterm Bahnhof schon lang auf seine „gentrification“ wartet.

Die Bezuschussung der kulturellen Stadtverschönerungsavantgarde aus unsicheren, also beliebig an- und aussetzbaren Feuerwehrfonds ermöglicht nicht nur in Dortmund eine Art kontrollierter Existenz von Schrägem jenseits des bürgerlichen Kulturbetriebs. Es schafft darüber hinaus auch Arbeitsplätze, es ist modern, lustig und kostet nicht viel: „Alternative Kultur ist billiger als bürgerliche. Solange man das Trugbild der Autonomie vorgaukelt, kann man mit einem vergleichsweise hohen Arbeitseinsatz bei geringer Entlohnung rechnen“, schreibt den Herausgebern des Zentrumsbuchs ein Exilzivi der Gütersloher Alten Weberei, die von Stadt und Bertelsmann (!) umfassend gesponsert wurde.

Krach zwischen Geldgeber Stadtverwaltung und abhängiger Szene gibt es dabei längst nicht mehr wegen provokativer Inhalte oder politischer Ausrichtung der bezuschußten Alternativkultur. Zum Zankapfel werden zunehmend alternative Organisations- und Arbeitsstrukturen. Die Duisburger Eschhäuser etwa verursachten, so eine der schönen, nostalgisch stimmenden Anekdoten aus dem Buch, dereinst einen Skandal wegen Veruntreuung städtischer Gelder: Sie hatten ihre Buchführung über den Verbleib von 60.000 DM in Form einer Plastiktüte mit ungeordneten Belegen beim Jugendamt vorbeigebracht.

In Dortmund dagegen tut sich der buntgemischte CEAG -Musikerhaufen außerordentlich schwer mit der Bildung eines „Vereins“, der als juristische Person potentiellen Verhandlungspartnern das Verhandeln erleichtert hätte. „Ich sag‘ denen seit November, wir bräuchten mal 'ne Erfassung, wer da eigentlich drin ist. Wir bräuchten zumindest Flursprecher oder so etwas als Ansprechpartner“, klagt Horst Stölzig vom Kulturbüro geradezu demütig. Er kann sich mittlerweile nicht mehr vorstellen, „daß das vor 1991 in die Gänge kommt.“

„Die sogenannte Dortmunder Szene und die ganze Szene im Ruhrgebiet arbeiten im Grunde genommen jeder gegen jeden“, konstatiert auch Popstar Boa aus eigener Erfahrung. „Die gönnen sich nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.“ Voraussetzung für Renovierung, Umbau und weiteren Betriebskostenzuschuß ist aber derzeit ein gemeinsames Nutzungskonzept seitens der Nutzer. Die haben sich inzwischen immerhin zum Verein Unabhängiger Kultur (VUK) zusammengeschlossen. Das Konzept (mit Hausmeister) ist in Arbeit. Anschließend soll das Projekt gar von den Musikern selbstverwaltet werden.

Daß die CEAG-Muisker im selbstverwalteten Zentrum weniger Probleme damit haben werden, ob sie jetzt basisbewegt oder professionell, autonom oder in städtischer Abhängigkeit musizieren (ein Problem, mit dem alle in der 'Klartext' -Veröffentlichung beschriebenen soziokulturellen Zentren ernsthaft zu kämpfen hatten), mag daran liegen, daß sie gar nicht erst zum „soziokulturellen Zentrum“ verpflichtet werden. Horst Stölzig vom Dortmunder Kulturbüro spricht bereits routiniert vom „kulturell wirtschaftlichen Zentrum“. Musiker machen eben am liebsten nur Musik. Eine eigennützige Generation von Kulturproduzenten trifft auf ihre ebenso eigenartige Generation von Kulturförderern.

Die Szene hat sich also verändert. Die Spontimitarbeiter der selbstverwalteten Zentren professionalisierten sich vor lauter Selbstverwaltung, schrieben Diplomarbeiten über sich (wie vier ehemalige Bewohner des einst zwangsgeräumten Dortmunder Heidehof), wurden doch noch Lehrer oder gaben aus Ermangelung an kulturzentrumsbedürftiger Masse einfach auf. Die Neuen rücken nach.

Das Duisburger Eschhaus (einst Zentrum der AKW-Bewegung in NRW), die Essener Zeche Carl, die Wuppertaler Börse, deren Niedergang oder Wandel erfreulich wenig sauertöpfisch im NRW-Zentrumsbuch betrachtet wird, sind dabei offenbar nicht nur an der bösen Stadtverwaltung oder den materialistischen 80er-Jahre-Teenies gescheitert, sondern immer auch an den eigenen Ansprüchen: „Es ist einfach ein blödes Verhältnis“, konstatiert etwa ein Mitarbeiter im Duisburger Eschhaus-Kapitel, „daß du dauernd am Wischen und am Kloputzen bist wie ein Blöder und dadurch nicht mehr zur inhaltlichen Arbeit kommst. Keine Trennung von dieser Hand- und Kopfarbeit zu haben, ist zwar ein wichtiger Anspruch, durch den wir uns von den städtischen Einrichtungen unterschieden, aber es nervt kolossal.“

Musiker dagegen kennen die Politik des Tanzens, die kleinen Zeichen, die Posen, die Bedeutung des Hemdkragens. Sie machen ihre Musik, und auf ihren Konzerten darf man einfach herumstehen, wippen, hüpfen, drängeln und zuhören. „Die ganzen Probleme der Jugendlichen erfährst du bei der Disco“, befindet selbst ein Mitarbeiter der Zeche Karl zur Bedeutung der Dienstagsdisco. Musik war immer ein wesentlicher Träger von Protest. Oder auch eine Form von Sozialarbeit. „Popmusik“, wird Tom G. Liwa, Sänger, Komponist und Chefideologe der Duisburger Flowerpornoes, im nagelneuen Ruhrgebiets-'GEO‘ zitiert, „Popmusik hat mir schon oft genug das Leben gerettet.“

Petra Höfer

Ludger Claßen / Heinz Hermann Krüger / Werner Thole: „In Zechen, Bahnhöfen und Lagerhallen. Zwischen Politik und Kommerz - Soziokulturelle Zentren in NRW„; Klartext, Essen 1989.

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