: JAGDGESCHICHTEN
■ Anke Martiny über hundert Tage Kulturschaffen
Unter sichtlichem Erfolgsdruck, und wie sie in eigener Sache anmerkte, schwer überarbeitet weihräucherte die Kultursenatorin samt verpustelter Pressesprecherin vom verlassenen mehrmikrofonigen Podium in der Kongreßhalle herunter: keine Minute Schonzeit habe sie gehabt. Lebhaft konnte man sie sich vorstellen, wie sie unter einer Vielzahl von zusammengestürzten „Kartenhäusern“ (Martiny) der Feierjahre nach „mehreren Millionen Mark und Hunderten von Stellen“ sucht, um all den „aufgeblasenen Institutionen“, unter die sie von Volksbühne bis Kunstvereine ein halbes Dutzend solcher packt, eine solide Grundlage zu geben. Seriös soll es also nun zugehen, „das rot-grüne 'Chaos‘ schafft de facto Ordnung“. Im Folgenden hagelte es „erfolgreiche Abschlüsse“, ist auch alles weiterhin völlig ungeklärt.
Das Forum junger Bühnenangehöriger bleibt doch Bestandteil des Theatertreffens, das Programm der Festspiele ist „gesichert“ (war es denn völlig bedroht?), ein „Jazzfest hoher Qualität wird weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit von derBerliner Festspiele GmbH veranstaltet“. Die Wahrscheinlichkeit hat mit der noch ausstehenden Diskussion um ein neues Konzept des Jazzfests und mit der ungeklärten „Drittmittelfinanzierung“ zu tun. Da man sich einmal auf den Handel mit dem Bund zwecks höherer Gesamtförderung der Festspiele eingelassen hat (unter Auflage, das Jazzfest nicht aus diesem Topf zu finanzieren), muß man jetzt womöglich auf Sponsoren beziehungsweise auf die ARD zurückgreifen. Aber keine Panik, „qualitiv wirds nicht schlechter“.
Zum Zwecke des Erfolges packt Martiny verschämt auch ein paar 'Altlasten‘ des CDU-Senats ins Geschenkpapier: Die DDR -Theatertruppen beim Theatertreffen und der Evangelische Kirchentag belegen den Ausbau der Ost-West-Beziehungen, außerdem sind zu verbuchen beziehungsweise geplant: die Reise des Philharmonischen Orchesters und der Topografie des Terrors in die DDR, eine DDR-Kulturwoche in Berlin und ein Gastspielaustausch Semper-Oper und Deutsche Oper. Auch sonst setzt man auf, wenn auch modifizierte Kontinuität: „Berlin trägt den Europagedanken weltweit“. Statt „die Seifenblase“ Filmpreis ganz einzustampfen, steht er statt 3,5 Millionen Mark dieses Jahr mit 600.000 Mark im Etat und soll - neben dem Hamburger Modell europäischer Vertriebsförderung - zu einer strukturellen Förderung des deutschen Films im Hinblick auf den Europäischen Binnenmarkt beitragen. Aber wie das konkret aussieht - eine Verwaltung mit ganzjähriger Beschäftigungsstruktur muß erst noch ausgekocht werden -, bleibt dunkel. Derweil gerüchten Hassemer und Co herum, der Kultursenat wolle Filmpreis und dazugehörige European Cinema Society an die Akademie der Künste anbinden, eine Warnung, die die Pressestelle der Akademie völlig unnötig findet, da sie trotz zeitlich begrenzter Zusammenarbeit und teilweiser Personalunion mit der Society in jedem Fall ihre Unabhängigkeit wahren will. Hassemers Akzent auf der „gesamteuropäischen Aufgabenstellung“ der Society gegenüber der „Berliner AdK“ sitzt im übrigen schief, da die AdK seit Jahren außereuropäische Mitglieder hat.
Was Hassemer sein Filmpreis, ist Martiny ihr „Medienstandort 2000“, „um Berlins Stellung in Zukunft auszubauen und zu behaupten“. Nach dem CDU-„Medienmuseum mit Ereignischarakter“ soll ein Mediengesetz Ordnung schaffen, in die „europäische Medienmetropole einbinden“ und Fortbildung sichern. Unter Medien wird auch der Film gerechnet: Filmhaus Esplanade, geänderte Filmförderungsrichtlinien, Film-Office“ etc. pp. Auf Nachfrage, was die „Förderung der einmaligen Kinoszene“ konkret bedeutet, verweist Martiny auf eine Anhörung im Herbst mit anschließender Verabschiedung neuer Richtlinien, die auch Vertriebsförderung miteinschließen: „Wenn wir alle miteinander fantasievoll rangehen und eine Konzeption entwickeln... Die finanzielle Situation ist schwierig... Ich kann nur sagen, ich möchte es gern.“ Neben dem gerade erfolgten Hearing der freien Gruppen zwecks Gründung eines Beirats soll es im September 1989 auch ein Hearing zu Frauenkulturprojekten geben.
Doch trotz der bescheinigten großen „Innovationskraft, die weit über das rein Geschlechtliche hinausgreift“, sind im Repräsentationsgewerbe doch wieder nur die Herren am Werk: Die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz zeigen von April bis Juni 1990 „Ethos und Pathos - Die Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts“, von September bis November 1991 eine „spektakuläre Ausstellung“ von Werken Rembrandts, im Herbst 1992 eine Ausstellung zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, außerdem „ZeitgeistII“, „Jüdische Lebenswelten“, Karl Blechen. Mit diesem Aufgebot hält Martiny den Verlust der Van-Gogh -Ausstellung für mehr als aufgewogen, da sie 1.) teuer war und 2.) nur zwanzig von hundert Exponaten von van Gogh gestammt hätten, „also nix Sonnenblumen, sondern wahrscheinlich eher Kartoffelesser“, welch Schmach für eine Arbeiterpartei. Andre Schmach wird tapfer getragen: Das Deutsche Historische Museum wird „auf Konzeption, Standort und Architektenentwurf neu diskutiert“, bis zum 15.Juli soll eine neue „Bewertung“ erarbeitet werden, zumal sich die Kritik, so Martiny, eher am Vorwort des alten Senats als an den Vorstellungen der Sachverständigenkommission entzündet habe. Ergo muß ein neues Vorwort her. Eine andere wunde Stelle, die Situation des Philharmonischen Orchesters, ist noch nicht verheilt: ein neuer Dirigent soll demnächst gesucht werden, der Intendant Schäfer vorzeitig entlassen, mit dem Salzburger Bürgermeister an Karajan vorbei um Salzburg gekämpft werden.
Und alles darf nichts kosten. Zwar haben Momper und Martiny mit vereinten Kräften die Millionen für das Sorgenkind Neuenfels noch einmal durch den Hauptausschuß gepeitscht, aber in Zukunft hofft man auf die Gesamtprokura des neuen Verwaltungsdirektors, der Neuenfels im Zaum halten soll. Denn der Kulturetat soll - ohne Inflationsrate - um 3 Prozent gekürzt werden. Da vom Bund mitfinanzierte Projekte und Personalkosten tabu sind, dürfte das auf Kosten der „disponiblen Mittel“ gehen. Martiny hofft mit Gottvertrauen auf Finanz- und Gesamtsenats Hilfe. Während die 6 Millionen Mark und 48 Stellen für dezentrale Kultur sogut wie beschlossen sind, scheint die tatsächliche Situation der freien Theaterszene trotz der versprochenen eine Million Mark für Spielstätten unverändert: Während Martiny von ihrer Lobespressekonferenz zur Vorstellung des neuen Merianheftes eilte, demonstrierten Leute vom R.A.M. M.-Theater mit Musikbeschallung und Performance im Europacenter für anständige nichtrenovierte Probenräume. Den durch paranoide Reaktion einer Senatsmitarbeiterin herbeigerufene Wachschutz samt Polizei konnte Staatssekretär Kirchner gerade noch von einer Anzeige abhalten, und nach zwar gutwilliger aber ergebnisloser Diskussion durften R.A.M.M. unbelästigt in die Szene zurückgehen.
Dorothee Hackenberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen