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Die Stimmung ist vorzüglich

■ „Sarafina“: Anti-Apartheid-Musical im Hamburger „Theater der Welt“

Die Geburtstagsfeier für Nelson Mandela - letztes Jahr fand im Wembley-Stadion statt, mit der Creme der internationalen Popszene und siebzigtausend Gästen. Millionen sorgten dafür, daß Richard Attenboroughs Filmoper Schrei nach Freiheit zum Kassenschlager und zur posthumen Heiligsprechung für Steve Biko geriet. Jetzt das Anti-Apartheid-Musical Sarafina: Zwanzig schwarze Kids aus Johannesburg versetzen, wo immer sie auftreten, das Publikum in Raserei. In New York, bei den Wiener Festspielen, zuletzt in Hamburg. Der Untertitel des Musicals: The Music of Liberation. Es scheint, also ob der Kampf der sogenannten zivilisierten Welt gegen das Burenregime zu einem einzigen großen Open-air-Festival geworden ist: Mit Bier oder Sekt, Hot dogs oder Lachsbrötchen, die Stimmung ist vorzüglich, man kämpft für eine gute Sache, indem man sich amüsiert. Die Mauern der Apartheidfestung werden fallen wie einst die von Jericho unter dem Getöse der Trompeten, prost Gemeinde, Zugabe. Derweil schmeißen die Henker Tag für Tag die Leichen über die Mauer. Heute sind es die der vierzehn von Upington. Konsumgewohnheiten einer paranoiden Gesellschaft.

Nichts spricht dagegen, die Paranoia vom Kap der Guten Hoffnung auf die Bühne zu bringen, die Killer und den Widerstand der Kids - warum sollte das nicht den Stoff abgeben zu einem Musical? Dies Genre erschöpft sich ja nicht in Schmachtfetzen wie Cats und Anatevka, sondern wurde einmal erfunden gegen eine verlogene Operettenwelt. Der Dschungel der Großstadt, die Tragödien des Alltags, lebendige Menschen statt schöner Prinzen und schneidiger Leutnants im schimmernden Ballsaal. Also nichts gegen Sarafina!

Es ist die Geschichte einer Schulklasse in Soweto, Jahre nach dem Massaker. Die Teenies sind fleißige oder faule Schüler, schüchtern oder großmäulig, sie heißen „Teaspoon“ oder „Colgate“, „Silence“ und „Crocodile“. Sie ärgern ihre Lehrerin und verehren sie, sie helfen und vertragen sich, wie auf jedem Schulhof der Welt. Der kleine Unterschied sie sind schwarz, Menschen zweiter Klasse, wenn sie sich wehren: Unter-Menschen.

Sarafina ist eine von ihnen, sie wird verhaftet und kommt mit den Zeichen der Folter aus dem Knast zurück. Man macht davon kein Aufhebens. Folter, Demütigung, Mord - jeder kann dazu eine Geschichte erzählen, von Freunden, Brüdern, Schwestern, den Eltern. Und Sarafinas Schicksal kann sich jeden Augenblick wiederholen: Ein Bulle schnappt im Vorbeigehen den Namen „Gaddafi“ auf, die Klasse hat Geographie, Thema: erdölproduzierende Länder; der Bulle dreht durch, er hat offensichtlich eine Verschwörung von Bolschewisten aufgedeckt, Alarm, Prügel, Tränengas, Salven, am Ende: Leichen auf dem Schulhof.

Bis hierher läßt sich das leidlich nacherzählen. Bis hierher gibt es noch eine erkennbare theatralische Situation - die Schulklasse -, es gibt eine Verknüpfung der Szenen, manchmal witzige Interaktion, Tempowechsel von ausgelassen choreographiertem Tanz zu den bewegend erzählten Geschichten aus dem Alltag des Terrors. Aber das löst sich auf spätestens nach der Begräbnisszene - in eine Abfolge von Tänzen und Songs. Das peinliche Finale: Die schwarzen Bowler und Schlipse der Schuluniformen fliegen in die Ecke, in bunten Klamotten die Mädchen, im Bastrock die Jungs, Tigerzahnketten, Amulette, der jazzige Sound wird afrikanisch, Drums, Rückkehr in den Kral, die alten Tänze, die edlen Wilden. Wo ist Nelson Mandela?

Wären da nicht die unglaubliche Präsenz der jungen Darsteller, diese Mischung aus Laiennaivität und höchster Professionalität, die Glaubwürdigkeit ihres Agierens, wären da nicht Joyce Sothoune, die Darstellerin der Sarafina und die Stimme und das Gesicht von Crocodile und die Tränen von Teaspoon und und und - der Abend wäre nach zehn Minuten gelaufen. So dürftig ist das Stück, so dünn seine Botschaft: „Government is shit, we will fight our land until we get it back.“ Man weiß das, aber man sieht nichts davon. Der hintere Teil der Bühne ist durch einen Drahtzaun abgeteilt, Stacheldraht, wahrscheinlich aus Nato-Beständen. Dahinter steht ein Panzer, die Kanone drohend ins Publikum gerichtet. Aber der Schrecken währt nur solange, bis die Musikband alle in Uniformen des Burenregimes - die Bühne betritt und auf dem Panzer Platz nimmt. Wenn sie dann auch noch jazzig auf dieser Attrappe mitswingt hat sich die Harmlosigkeit endgültig breitgemacht. Auch die Polizeieinsätze sind Theaterdonner: viel Nebel, Rotlicht, das Tak-tak der MPs vom Band.

Nur zweimal ahnt man, was ein Musical zu dem Thema mit den Darstellern hätte leisten können: Als Sarafina die Geschichte eines besoffenen Bullen erzählt, der eine Frau aus dem Bus zwingt und sie vergewaltigt, als sie das spielt

-den Bullen und sein Opfer. Da ist der Mordgeruch, die faschistischen Fettnacken, die keuchenden Hunde, Kotze in der Zelle. Noch einmal, als zwei Bullen die Paragraphen des Ausnahmegesetzes zitieren, mit jedem Komma: die Gewalt, der Terror als Abwehr gegen die panische Angst, die Killer auf einmal selbst als Opfer, ein lebensgefährlicher Teufelskreis. Da hilft kein Beten und solidarisches Klatschen.

Das Hamburger Publikum klatschte sich besoffen. Das Ensemble deutete das als Wunsch nach Zugabe und fing noch einmal an, nach drei Stunden, zu tanzen und zu singen. Mißverständnis über Mißverständnis. Alte Männer im Nadelstreifenanzug ballten die Faust zum revolutionären Gruß, die feine Gesellschaft tanzte zwischen den Sitzen, black is beautiful, die Kinder auf der Bühne, sso ssüß, Anti-Apartheid zum Sonderpreis. Das Konzert in Wembley war ehrlicher.

Hannes Heer

Sarafina. The Music of Liberation. Von Mbongemi Ngema. Das Musical ist ab dem 6. Juli in München zu sehen.

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