„Die Aussperrer gesellschaftlich ächten“

■ Klaus Zwickel, im Vorstand der IG Metall zuständig für die Tarifpolitik, zu den Ausgangsbedingungen und den Mobilisierungsstrategien der IG Metall für die Tarifrunde 1990 / „Die Metallarbeitgeber haben ein weiteres Signal für eine Verhärtung gegeben“

taz: Die Bedingungen in der Tarifrunde 1990 werden für die IG Metall schlechter sein als noch in der Arbeitszeitrunde 1984. Aufgrund des geänderten Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz werden die von der kalten Aussperrung Betroffenen keine Unterstützung mehr durch die Bundesanstalt für Arbeit erhalten. Die IG Metall hat angekündigt, den kalt Ausgesperrten kein Streikgeld auszuzahlen. Wie bewertet die IG Metall diese Bedingungen für den Verlauf der Tarifauseinandersetzungen?

Klaus Zwickel: Zunächst einmal kann man die Ausgangssituation für die kommende Tarifbewegung nicht ausschließlich an den Bedingungen des Paragraph 116 festmachen. Wir müssen natürlich auch sehen, welche günstigeren Voraussetzungen wir haben. Im Vergleich zu 1984 findet heute die Forderung nach der 35-Stunden-Woche im Kreis der Arbeitnehmer, aber auch darüber hinaus in einem großen Kreis der Öffentlichkeit mehr Zustimmung. Die Ausgangsbedingungen für die Akzeptanz und die Unterstützung der Forderungen sind heute unvergleichlich besser. Das ist die positive Seite. Andererseits ist es richtig, daß wir durch den geänderten Pragraph 116 schlechtere Voraussetzungen haben. Das heißt, ein wichtiger Teil der gesamten Vorbereitung für die Tarifauseinandersetzung 1990 ist es, politisch bewußt zu machen, daß wir in der Bundesrepublik keine Kampfparität haben.

Im Gefolge der 116-Änderung?

Ja. Wir müssen bewußt machen, daß das Streikrecht formal zwar weiterhin gegeben ist, aber die Bedingungen, um das Streikrecht anwenden zu können, ungleich schlechter geworden sind.

Also von Kampfparität kann noch weniger die Rede sein als bisher schon.

Wir hatten schon vorher keine Kampfparität, aber mit Änderung des Paragraphen 116 haben die Arbeitgeber eindeutig zusätzliche Kampfvorteile bekommen. Seit der Änderung des 116 kann die Gewerkschaft eigentlich nur die erste Entscheidung treffen, nämlich die Entscheidung zur Urabstimmung und die Festlegung, in welchem Bereich und mit wievielen Arbeitnehmern der Arbeitskampf geführt werden soll. Alles andere hat nach den veränderten Bedingungen durch den Paragraphen 116 das Kapital in der Hand.

Weil die Arbeitgeber die Zuspitzung durch die kalte Aussperrung beschleunigen können.

Einmal das. Aber selbst wenn die Gewerkschaft sich dazu entschließt, einen Arbeitskampf so zu organisieren, daß möglichst wenig Betriebe und damit auch möglichst wenig Menschen betroffen sind, haben die Arbeitgeber einmal die Möglichkeit so wie schon bisher, genau die Betriebe, die die Gewerkschaft nicht einbeziehen will, durch die sogenannte heiße Aussperrung einzubeziehen, um damit dann zu begründen, warum außerhalb eines Kampfgebiets kalte Aussperrung erforderlich wäre. Diese Möglichkeiten haben die Arbeitgeber seit der Veränderung des Paragraph 116 weitgehend in der Hand.

Kalt Ausgesperrte werden keinerlei Unterstützung erhalten. Franz Steinkühler, der erste Vorsitzende der IG Metall, hat ja mehrfach gesagt, daß diese Situation die Wut der Arbeitnehmer möglicherweise sehr schnell auf die Spitze treiben könnte, so daß die Situation in einem bislang nicht bekanntem Maß eskaliert. Doch könnte es nicht auch so sein, daß die Kampfkraft der Gewerkschaften dadurch relativ schnell erheblich beeinträchtigt wird?

Richtig ist sicher, daß im Falle einer massenweisen Anwendung der heißen beziehungsweise in der Folge dann kalten Aussperrung durch die Arbeitgeber davon auszugehen ist, daß es sehr schnell zu einer großen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik kommen wird und der Protest der Arbeitnehmer Größenordnungen und Entwicklungen annehmen kann, die wir alle bislang nicht erlebt haben. Wenn Menschen keine Perspektive mehr haben, und das würde ja eintreten, wenn Hunderttausende auf der Straße stehen und wissen, sie bekommen von nirgendwoher Geld, werden sie sich wehren. Davon geh ich aus. Die Frage wird sein, wohin sich dieser Protest richten wird. Unser Ziel ist, daß Arbeitnehmer und Öffentlichkeit erkennen: Formal besteht das Streikrecht zwar weiter. Aber die Bedingungen durch die Kampfmittel, die sich das Kapital von dieser Bundesregierung hat geben lassen, sind so gestaltet, daß die Arbeitnehmer und damit die Gewerkschaften niedergemacht werden können. Folglich müssen sich die Proteste gegen die Unternehmer und die gegenwärtige Bundesregierung richten.

Im Grunde geht es also um weit mehr als um die Ziele dieser Tarifrunde jetzt.

Es geht um die 35-Stunden-Woche, um Einkommenserhöhung und um das freie Wochenende. Aber es geht auch darum, die Angriffe der Unternehmer abzuwehren, sonst besteht Gefahr, daß weitere soziale Einschnitte folgen und demokratische Rechte weiter abgebaut werden. In Zukunft wären dann noch weniger Instrumente vorhanden, um die Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen. Wir wären schnurgerade auf dem Weg in den Unternehmerstaat. Das muß ins Bewußtsein gerückt werden.

Die IG Metall will bereits in der Vorbereitung der Tarifrunde breitere Teile der Öffentlichkeit einbeziehen, insgesamt ist angesichts der neuen Bedingungen von mehr Phantasie und Einfallsreichtum hinsichtlich neuer Kampfformen die Rede. Was wird das auf betrieblicher Ebene bedeuten, sind dort neue Auseinandersetzungsformen geplant, soweit man das jetzt schon sagen kann?

Wir sind in einem Diskussionsprozeß mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Seien es Parteien oder zum Beipiel das Präsidium des Deutschen Naturschutz-rings, Umweltschutzverbände, Sportverbände, Kirchen und weitere Gruppen. In den Betrieben geht es natürlich darum, in den Betriebsversammlungen sehr offensiv mit den jeweiligen Arbeitgebern zu diskutieren und klar zu machen: Metallerinnen und Metaller lassen sich nicht einfach auf die Straße stellen. Es geht darum, daß die Aussperrer gesellschaftlich geächtet werden.

Die IG Metall hat ja vorgeschlagen, über die Lohn- und Gehaltserhöhungen bereits vor dem Frühjahr 1990 zu verhandeln. Gesamtmetall hat es jetzt abgelehnt, diese Verhandlungen vorzuziehen.

Es stehen in der Tarifrunde sehr viele Punkte zur Klärung an. Es geht nicht nur um Lohn und Gehalt, sondern um die Arbeitszeit und deren Gestaltung, es geht um Überstundenbegrenzung. Eigentlich müßten beide Seiten daran interessiert sein, schon sehr frühzeitig mit den Tarifverhandlungen zu beginnen, das ganze zu entzerren und so ein Stück weit zur Versachlichung beizutragen. Dies wäre in der jetzigen Situation sicherlich auch ein Signal dafür gewesen, daß nicht der Streik, sondern eine Verhandlungslösung im Vordergrund stehen muß. So wie die Dinge jetzt abgelaufen sind, ist davon auszugehen, daß zumindest gegenwärtig die Mehrheit bei Gesamtmetall kein Interesse hat, mit der IG Metall nach sachlichen Verhandlungsmöglichkeiten zu suchen.

Die IG Metall wertet die Ablehung der vorgezogenen Lohn und Gehaltsverhandlungen durch Gesamtmetall also als Signal für eine Zuspitzung?

Ja. Gesamtmetall eine Chance hat verstreichen lassen, und die Metallarbeitgeber haben damit ein weiteres Signal für eine Verhärtung gegeben.

Interview: Maria Kniesburges