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Schlappe für Cattenom: Ist der Weiterbau illegal?

Oberstes französisches Verwaltungsgericht erklärt Genehmigung für Blöcke 3 und 4 für nichtig / Die Regierung kann sich aber auf „nationale Interessen“ berufen  ■  Von Hans Thomas

Paris/Cattenom - Eine weitere spektakuläre Niederlage hat der französische Staatsrat, der oberste nationale Verwaltungsgerichtshof, den Betreibern der umstrittenen Atomzentrale Cattenom an der Obermosel bereitet. Nach einem am Wochenende bekanntgewordenen Urteil des „Conseil d'etat“ vom Freitag sind die Genehmigungsbescheide für die Reaktorblöcke 3 und 4 des AKW rechtswidrig. Damit ragen die Meiler faktisch illegal in den Himmel Lothringens. Mit dem Spruch sind sowohl die Bau- und Betriebsgenehmigung als auch die Erlaubnis, radioaktive Abwässer in die Mosel einzuleiten, nichtig. Ob es jetzt zu einem Baustopp für zwei der insgesamt vier Reaktorblöcke von Cattenom kommen wird, ist allerdings fraglich: Die französische Regierung ist an den Spruch des Staatsrats nicht gebunden, wenn „nationale Interessen“ berührt sind. Block 3 befindet sich derzeit im nicht-nuklearen Probelauf und sollte ursprünglich noch im Herbst ans Netz gehen. Block 4, zur Zeit im Bau, soll ab 1991 Strom erzeugen. Fortsetzung auf Seite 2

Die Blöcke 1 und 2 der Atomzentrale - nach ihrer Fertigstellung mit rund 5.300 Megawatt Leistung unter den weltweit größten AKWs - produzieren seit drei bzw. zwei Jahren Strom und müssen immer mal wieder wegen mangelnder Stromnachfrage abgeschaltet werden, was den Expansionsdrang der staatlichen Betreibergesellschaft EDF bisher allerdings nicht bremsen konnte.

In seinem von der Klägergemeinschaft gegen Cattenom als „sensationell“ gewerteten Urteil begründet der Staatsrat seine Entscheidung mit der Erhöhung der Leistungskapazität der beiden Blöcke: Obwohl die EDF beim öffentlichen Geneh

migungsverfahren nur Unterlagen für eine Kapazität von je 900 Megawatt ausgelegt hatte, wurden die Reaktoren noch während des Genehmigungsverfahrens auf je 1.300 MW hochgerüstet.

Das in der französischen Anti-AKW-Geschichte beispiellose Urteil des obersten Gerichts setzt eine Serie juristischer Niederlagen der Cattenom-Betreiber fort, die sie gegenüber einer Klägergemeinschaft, in der sich unter anderem das Saarland, Luxemburg und die Stadt Trier zusammengeschlossen haben, einstecken mußten. Im letzten Jahr hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Genehmigungsbescheide für radioaktive Ableitungen der Blöcke 1 und 2 in die Mosel für rechtswidrig erklärt. Die Richter hatten es als gravierenden Verstoß gegen den Euratom-Vertrag gewertet, daß die französische Regierung den Betreibern erlaubt hatte, große Mengen radioaktiver Abwässer abzuleiten, ohne rechtzeitig die Europäische Kommission unterrichtet und ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben zu haben. Seinerzeit hatte Frankreich es gegen europäisches Recht auch unterlassen,

die Nachbarstaaten anzuhören. Die radioaktiven Ableitungen in die Mosel übertreffen die vergleichbarer deutscher Reaktoren wegen höherer Grenzwerte um ein Vielfaches.

In einer ersten Stellungnahme spielte die EDF das Urteil als „Formsache“ herunter und kündigte an, der Spruch werde nur zu „kleinen Verzögerungen“ beim weiteren Ausbau der Atomzentrale führen. Die Cattenom-Kläger forderten unterdessen in ersten Stellungnahmen einen sofortigen Baustopp und eine Neuauflage des kompletten Genehmigungsverfahrens. Die „Internationale Aktionsgemeinschaft gegen Cattenom“, ein Zusammenschluß von Bürgerinitiativen und Parteigliederungen aus dem Saar -Lothringen-Luxemburg-Raum, mahnte am Sonntag „politische Signale“ gegen die Stromimportpolitik aus Frankreich an, um einer Neuauflage des Genehmigungsverfahrens die Grundlage zu entziehen, erklärte der Sprecher der Aktionsgemeinschaft, Ewald Adams - die Nuklearzentrale Cattenom und insbesondere die geplanten Blöcke 3 und 4 produzieren fast nur für den Stromexport.

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