: Das Ende der Japan AG
Ein Regierungswechsel in Japan bahnt sich an ■ K O M M E N T A R E
Champions brauchen sich nicht zu rechtfertigen,“ hatte einmal Japans früherer Ministerpräsident Yasuhiro Nakasone die Moral seines Amts zusammengefaßt. Mit diesem Kellerkinder-Bekenntnis umriß Nakasone aber gleichfalls das Motto, mit der die seit 1955 regierende Liberal -Demokratische Partei (LDP) die Politik im Land der aufgehenden Sonne gestaltet.
Wärend Nippon in den letzten dreißig Jahren zunächst zur industriellen und im letzten Jahrzehnt auch zur finanziellen Führungsmacht aufgestiegen ist, blieb der Führungsstil seiner Politiker stets in feudalistischen Traditionen verhaftet. Gerade eine Handvoll Fraktionsfürsten der Regierungspartei LDP hatten im Nachkriegsjapan stets die Geschicke des Landes geleitet. In den Wahlkreisen sorgte sie dafür, daß die Pfründe an die genehmen Nachwuchspolitiker weitergegeben wurden. In den Höhen der Politik wurden nach genau eingespielten Riten Ministerämter turnusmäßig an die einzelnen Fraktionen verteilt. Daß in Japan die alles übergreifende Ethik der Samurai, Unbestechlichkeit und Moral, Werte der Politik waren, mutmaßten nicht nur westliche Beobachter, sondern hofften auch japanische Wähler lange Zeit.
Doch schon lange war das ein Trugschluß. Selbst beim Amt des Ministerpräsidenten wurde stets reihum immer ein anderer Fraktionsfürst der LDP ausgeschaut. Die wenigsten der japanischen Nachkriegspremiers wurden gewählt. Die mächtigen Fraktionsfürsten hievten sich ohne Kontrolle ihrer Basis an die Macht. Dieses Zusammenspiel setze sich auch in der Wirtschaftspolitik fort. Die konservative LDP vertrat die Interesse der Wirtschaft, in einem von außen betrachtet harmonischen Miteinander setzten sich Industrielle, Unternehmer und auch Gewerkschaften an einen Tisch, um zukunftsweisende Politik zu machen. Das Modell der Japan AG lief wie geschmiert. Politische Moral war dabei nie eine bestimmende Größe.
Die Wähler sind in der Japan AG in den letzten 30 Jahren fast immer eine berechenbare Größe gewesen. Die Wahlkreise waren ohnehin so zugeschnitten, daß Landpräfekturen die Wahl entschieden. Und dort hatten die Parlamentarier der LDP ohnehin nie gegeizt. Auch wurden die Oppositionsparteien von den meisten Japanern nie als Alternative angesehen, die stabile Politik gestalten und Wohlstand erhalten könnten.
Doch mit der erdrutschartigen Schlappe bei der Tokioer Kommunalwahl am Wochenende scheint das endgültig ein Ende zu haben. Nie zuvor haben die Wähler im Land der aufgehenden Sonne der LDP so eindeutig den Rücken gekehrt. Für die Parlamentswahl am 23. Juli scheint damit ein Ende der Regierungszeit der Liberaldemokraten ins Haus zu stehen.
Die LDP hat sich das selbst zuzuschreiben. Denn sie hat in den letzten zwölf Monaten im Recruit-Bestechungsskandal bewiesen, daß sie nicht mehr lernfähig und zu keiner moralischen Erneuerung fähig ist. Nachdem Premier Noboru Takeshita bereits von den Medien überführt war, tief in die größte Korruptionsafffäre der japanischen Nachkriegszeit verstrickt zu sein, fiel der LDP nicht besseres ein, als in den Bahnen der bisherigen Politik fortzufahren. Nakasone trat aus der Partei aus und nahm die Verantwortung auf sich. Doch längst war den japanischen Wählern klar, daß die LDP als Partei krankt und Japan eine politische Alternative zur bisherigen Politik braucht. Wenn auch Sosuke Uno als Saubermann angekündigt war, so bestand für ihn schon zu Amtsantritt vor vier Wochen wenig Hoffnung, den Karren wieder aus dem Dreck von Korruption und Skandalen zu ziehen. Daß der Saubermann nun ausgerechnet über einen Sexskandal zu stolpern scheint, mag dem letzten Akt der krisenbefallenen LDP eine aparte Note geben. Das Ende der Alleinherrschaft seiner Partei hätte er ohnehin nicht aufhalten können.
Jürgen Kremb
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