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REIFENSTECHEN OHNE FOLGEN

■ Spielplatzpolitik mit und ohne „Playmobil“

Im April dieses Jahres stellte „Platzmobil“ seine Arbeit im Kreuzberger „Interglotz“ vor. Auf Papiertüten, die an zu Bäumen verwandelten Hochsprungständern hafteten, standen die möglichsten und unmöglichsten Behauptungen, und alle, die zu Christoph Böhm wollten, mußten eine weitere Lüge aufhängen. Erst dann konnten sie über die Manilastäbe laufen, die quer im hinteren Raum der Galerie neben dem SO36 lagen, über die glatte, an Bambus erinnernde Oberfläche streichen und die extreme Biegbarkeit dieses Holzes ausprobieren. Das war das Material, aus dem zukünftige Kinderträume entstehen sollten.

Christoph Böhm, „Autodidakt in Malerei, Graphik, Wandmalerei und Didaktik“, Exbesetzer des legendären ehemaligen Kulturzentrums KuKuCK und Vater, beschäftigt sich nach sechs Jahren Arbeit mit Behinderten und pädagogischer Praxis in KiTas mit „Spielraumforschung und -beratung“. Für diese Disziplin rief er 1984 das „Platzmobil“ ins Leben. „Platzmobil“ ist zum einen eine Kartei mit den Namen von ArchitektInnen, GartenplanerInnen, PädagogInnen und KünstlerInnen, die sich seit 1982 als „Diegesa e.V.“ vergeblich bemüht hatten, „Platzmobil“ mit Hilfe öffentlicher Förderung zu etablieren. Zum anderen, und das vor allem, besteht „Platzmobil“ aus zwei weißen VW-Bussen, mit denen Böhm von Kindertagesstätte zu KiTa, von Kinderfest zu KiFe fahren kann, um neue Spiele ausprobieren zu lassen und um Beratung für Inneneinrichtungen und das Anlegen von Spielplätzen zu leisten.

Nicht Schaukel oder Wippe sollen einst davon zeugen, daß der Künstler an den Stätten anwesend war. An denen verlieren Kinder ohnehin nach zweimaligem Ausprobieren mit viermaligen Herunterfallen und obligatorischem Knieaufschürfen das Interesse. Böhm sieht den idealen Spielplatz vielmehr in einer Art Biotop, in dem vorhandene „Restnatur“ weitgehend in ihrem Zustand belassen werden soll. Die Nutzer dieser Räume, Kinder und Eltern, will Böhm an der Gestaltung der Grünräume beteiligen. Nicht zuletzt muß auch an die Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren gedacht werden, nicht nur, aber auch, weil die „unverhohlene Vernachlässigung“ dieser Altersgruppe Ursache für die zahlreichen Zerstörungen der Spielplätze der Kleinen ist. Wie genau die jungen Leute in das Konzept mit einbezogen werden könnten, blieb im „Interglotz“ allerdings noch offen.

Böhms Vorstellungen entsprechen weitgehend der Berliner Erklärung der Fachtagung „Spiel- und Lebensraum Großstadt“, die der Senator für Jugend und Familie 1987 veranstaltete. In ihr forderten die TagungsteilnehmerInnen eine stadtweite Vernetzung von „Spielräumen und Spielorten“, mit denen „möblierte Spielbereiche zugunsten von wilden und bedürfnisgerecht gestalteten Grünräumen reduziert werden sollen“. Mit der Sicherheit, jederzeit betreuende Erwachsene ansprechen zu können, sollen an ihnen die Kinder selbständig ihre körperlichen Fähigkeiten ausprobieren, mit Tieren, Pflanzen und den Elementen Feuer, Wasser und Erde Erfahrungen sammeln und den Ort nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten.

Einen Prototyp dieser neuen Spielplätze konnte und wollte Böhm nicht beschreiben, einfach, weil es den nicht gibt. Böhm fährt mit seinem „KuKuCKsei“, einem runden Geflecht aus Manilaholz, los, schaut, wo Kinder zu spielen beginnen und wie sie sich den Ort aneignen. Für die Einrichtung einer KiTa gibt es ein konkretes Beispiel: ein vom Senat spendierter Posten kratziger Leinenwindeln verstopfte ganze Regale einer KiTa - kein modernes Kleinkind trägt so etwas heute noch! Böhm verwandelte die Stoffhaufen in Lichtblenden für nervös machenden Neonröhren, in Sprungtücher und andere schöne Dinge. Abfallverwertung ist ein wichtiges Prinzip von „Platzmobil“. Feste Verbindungen zu einzelnen KiTas nach dem Motto „Dienstag: Basteln mit dem Künstler“ lehnt Böhm aber ab, weil er über die passive Haltung der KiTas seinen Beratungen gegenüber enttäuscht ist. Böhm will kein Innenarchitekt sein, sondern Anregungen zum Selbermachen geben.

Auf der Eröffnungsfeier der Veranstaltungsreihe im „Interglotz“ äußerte Helmut König, damals noch Kreuzberger Stadtrat für Jugend und Familie, seine Hoffnung auf eine baldige Zusammenarbeit mit Christoph Böhm. Die Südliche Friedrichstadt mit ihren vielen Neubauten bräuchte dringend neue Spielflächen. Nach dieser frohen Botschaft trat König mit dem Künstler vor der „Interglotz“ auf die Oranienstraße, wo die beiden Spielmobile parkten. Böhm gab den anwesenden Kindern praktischen Unterricht im Reifenzerstechen, „weil das Auto Stadtzerstörungsfaktor Nummer eins ist“, und Herr König durfte sich auch einmal mit dem Messer betätigen. Das machte ihm sichtlich Spaß. „Ganz ohne Auto geht's aber auch nicht“, grinste er nach dem revolutionären Akt, rauchte noch eine Zigarette und ließ sich in einem Golf davonfahren.

Claudia Wahjudi

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