: Letzte Chance für die SEW
Beim GEW-Konflikt hat die SEW eine Bringschuld ■ K O M M E N T A R
Der Konflikt in der GEW erfordert Augenmaß. Zu leicht gerät man in das Fahrwasser eines verlogenen Antikommunismus, der in Berlin schlechte Tradition hat und immer nur ein Totschlagargument gegen politisch Andersdenkende darstellte. Nun mit diesen abgenützten Versatzstücken des kalten Kriegs die Auseinandersetzung in der GEW zu führen ist zu billig und zudem ungeeignet. Die SEW-Mitgliedschaft allein kann kein Grund sein, von Frau Uesseler-Gothow den Rücktritt zu fordern - damit täte man vielen Mitgliedern, die für ihre Überzeugung unter den Nazis wie in der BRD leiden mußten, unrecht.
Es geht darum, ob die SEW zu einer demokratischen Auseinandersetzung und Veränderung fähig ist. Die Partei hat in dieser Stadt nie eine Rolle gespielt; dazu war sie durch die Verwandschaft und finanzielle Abhängigkeit von der SED nachhaltig diskreditiert. Auf demokratische Regungen in der Partei hat die Führung immer - wie zum Beispiel 1980 bei den Konflikten um die Schließung der S-Bahn - mit der Ausschlußkeule geantwortet. Man muß schon sehr hartleibig sein, um immer noch SEW-Mitglied zu sein. Wer zur offenen Auseindersetzung über die Vorgänge im Realsozialismus und über die stalinistischen Verbrechen - nicht nur in der UdSSR, sondern gerade gegenüber deutschen Kommunisten - nie in der Lage war, braucht sich deshalb über das Mißtrauen nicht zu wundern. Zwar war das öffentliche Eingeständnis der SEW-Mitgliedschaft von Frau Uesseler-Gothow ein Novum, doch ausreichend kann das nicht sein. Allein klare, eindeutige Worte auf die offenen Fragen können den Zerreißprozeß der Gewerkschaft beenden - und für die SEW den ersten Schritt zu einer bitter nötigen Demokratisierung bedeuten. Der Partei bietet sich damit eine Chance: Man darf gespannt sein, ob die SEW bereit ist, sie zu ergreifen.
Gerd Nowakowski
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