„Die Guarda tötet hier unsere Leute“

Im Kampf gegen die Porzellanerde-Förderung hat die Bevölkerung des portugiesischen Dorfes Barqueiros schon zwei Todesopfer zu beklagen / Nachdem die Nationalgarde einen 20jährigen erschossen hat, will die Regierung jetzt einlenken  ■  Aus Barqueiros M.Schmidt

Der Schuß in den Kopf traf den 20jährigen Jose Manchente Simoes um Viertel nach sieben. Er war gerade vom Lastwagen geklettert, der ihn wie jeden Tag von der Arbeit auf dem Bau nach Hause brachte. Es war Montag, der 26.Juni, der Tag, der die kleine Ortschaft Barqueiros im Bezirk Braga im Norden Portugals in Besatzungsgebiet verwandelte. Zum Schutz der Minengesellschaft MIBAL, die sich mit ihren Schürfmaschinen immer tiefer in das Dorf hineinfrißt und auf den erbitterten Widerstand der Einwohner stößt, hatte die militärische gerüstete Guarda Nacional Republicana (GNR) mehr als 200 Mann in rund 36 Fahrzeugen mit Wasserwerfern und Hunden aufgeboten, um die 3.000-Seelen-Gemeinde in den Mittagsstunden zu besetzen und schließlich das Feuer zu eröffnen.

Als die Garde, die seit Montag früh Baqueiros umzingelt hatte, anrückt, wird die Bevölkerung durch Glockenläuten alarmiert, ausgelöst von einer Einwohnerin. Die Nationalpolizei holt die Frau vom Turm und führt sie in Handschellen ab. Andere werden von Soldaten mißhandelt, festgenommen oder - wie die Gäste einer Taverne - nach Hause geschickt, mit dem Befehl, dort zu bleiben. Mit einer Reitpeitsche wird auch dem Tankwart des kleinen Ortes bedeutet, seine Arbeit niederzulegen und den Kassenraum nicht mehr zu verlassen.

Als die ersten Schüsse, 9-mm-„Kriegskaliber“, heißt es in den Zeitungen, fallen, schickt Fernando Sousa, ein kleiner Selbständiger, per Telex einen Hilferuf an den Präsidenten der Republik, Mario Soares, an die Regierung und an die Nachrichtenagentur 'LUSA‘: „Die Guarda tötet hier unsere Leute!“

Bilanz des schrecklichen Tages: Jose Carlos getötet, weitere zwölf Menschen verletzt. Amtlich heißt es, die Truppen hätten „in die Luft geschossen“, um die Bevölkerung zu hindern, mit Pflastersteinen zu werfen oder Barrikaden zu bauen.

Die Ereignisse sind der vorläufige traurige Höhepunkt einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung. 1970 erlaubte der letzte Präsident der Salazar-Diktatur, Americo Tomas, der Bergbaugesellschacft Minas de Barqueiros, Limitada (MIBAL), auf dem Gebiet der Gemeinde nach Porzellanerde (Kaolin) zu suchen. Die Ergebnisse der ersten Schürfungen sind heute noch zu sehen. Rund um das Dorf entstanden kiesgrubenartige Seen. Je näher die Tagebauarbeiten an den Ortskern heranrückten, desto weniger Wasser gab es in den Brunnen. Als MIBAL schließlich daranging, Barqueiros regelrecht das Wasser abzugraben, weigerten sich die Bauern, den Porzellanerde-Schürfern ihr fruchtbares Ackerland zu verkaufen. Zwar bot die Gemeindeverwaltung Ersatz-Gelände an, wo ebenfalls Rohstoff für das „weiße Gold“ zu finden sei. Aber das Bergbau-Unternehmen setzte bei der Regierung die Enteignung der Landbesitzer durch. Statt für 6.000 Escudos kaufte MIBAL die gewünschten Gelände zum Discountpreis von 190 ESC pro Quadratmeter - umgerechnet keine 2,40 Mark.

Diese Inbesitznahme setzte MIBAL mit eigenen Schlägertrupps durch - in Barqueiros nur „Banditen“ genannt - und schließlich mit der Guarda. Am 9.Juni 1987 kam es zur ersten Konfrontation. Enteignete BesitzerInnen versuchen die Bergwerksgesellschaft daran zu hindern, mit Maschinen auf die Landgüter vorzudringen. Damals wurden der 41jährige Antonio Oliveira durch Schläge getötet, 30 Menschen verletzt, bevor die GNR mit rund 250 Soldaten im Einsatz, meldete, die Situation in Barqueiros sei „normalisiert“.

Seit dem tödlichen Schuß in der vergangenen Woche lastet eine Atmosphäre von Zorn und Angst auf dem Dorf. Auf dem Tonerde-Feld stehen Guardas und die „Banditen“ vor Baggergerät, am Tor zu dem Gelände GNR-Posten, die auf Geheiß des „Dono“, des Boß der MIBAL, keinen hereinlassen.

Im Ort hängen schwarze Fahnen an den Telegrafenmasten und auf dem Ortseingangsschild steht zur Begrüßung: „GNR -Mörder“. An der Stelle, an der Jose Carlos getötet wurde, die gleiche bittere Feststellung auf einem Transparent umkränzt von Blumen: „Hier wurde ein Jugendlicher unserer Heimat durch die GNR ermordet im Auftrag der PSD-Regierung.“ Vor der Gedenkstätte die aufgemalten Umrisse des Toten, Blutflecken, daneben Kleidungsstücke, Tasche und die leere Botanisiertrommel des Bauarbeiters.

Eine private Videoaufnahme belegt, so die Bürgermeisterin Lucia Marinha Santos, daß die Guarda absichtlich auf den unbewaffneten Jose Carlos schoß. Bis ins Badezimmer habe die Guarda manche Leute verfolgt, berichtet eine Augenzeugin.

Schon in der Diktaturzeit galten die Guardas als direkter Arm der Geheimpolizei PIDE und als das Symbol der Macht schlechthin. Als einzige Polizei auf dem Lande haben sie die Revolutionszeit praktisch unversehrt überstanden.

Aus Protest gegen MIBAL hatten die Barqueirenses schon die vergangenen Wahlen einhellig boykottiert. MIBAL selbst machte unmittelbar nach dem Tod Jose Carlos‘ „die Gemeindeverwaltung für den unglücklichen Unfall“ verantwortlich. Jetzt hat die Regierung, die sich bis zum Schluß geweigert hatte, das Vorgehen der GNR wenigstens zu bedauern, der MIBAL vorübergehend die Konzession entzogen. Eine Delegation mit Abgeordneten aller Parlamentsfraktionen war am Montag vor Ort und hat vorgeschlagen, daß der Tonerde -Abbau künftig auf dem von der Gemeinde schon lange angebotenen Ersatz-Gelände stattfinden soll. Doch die Guarda ist immer noch in Barqueiros. Jose Carlos ist am Sonntag auf dem Friedhof des Dorfes gleich neben der Quinta, dem Tonerde -Feld, beerdigt worden. 2.000 Menschen gaben ihm das letzte Geleit.