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Die Läuterung des bösen John

Kaum Überraschungen im Viertelfinale von Wimbledon - außer Big Mac  ■  Aus Wimbledon B. Müllender

Chamberlain, der Name mag ja aus der Weltgeschichte eine gewisse Geläufigkeit haben, aber Chamberlin? Als einigermaßen sicher durfte nur der Beruf Tennisspieler angenommen werden, wie sonst hätte er in Wimbledons Viertelfinale vom Mittwoch auftauchen können? Auch Boris Becker wußte vorher mit seinem Gegner wenig anzufangen: „Ich habe bestimmt schon mal mit ihm trainiert.“ Wann, wo: keine Ahnung. Er kannte ihn nicht.

Nach dem ungleichen Kräftemessen mit jenem Paul Chamberlin aus Arizona wußte Becker, wann er schon mal mit ihm trainiert hatte: in diesem Spiel nämlich. „Sage mir doch mal, wo du hinspielst“, rief ihm der Amerikaner nach genau einer Stunde lauthals zu, „vielleicht habe ich dann eine Chance.“ Boris Becker deutete auf die Rückhandseite, schlug aber gemeinerweise auf die Vorhand. Chamberlin machte dennoch den Punkt. Man lachte auf Court Nr. 1, die Zuschauer, der arg unterlegene Ami, und ein wenig auch der urgewaltige Deutsche. Es war die einzig bemerkenswerte Situation des ganzen Spiels. Boris Becker gewann seine drei Sätze im Halbstundenrhythmus 6:1, 6:2 und 6:0.

Noch keinen Satz hat Becker abgegeben in seinen bisherigen fünf „mettschiss“, wie er immer sagt, und so kann er seinem Beruf hier leicht und gelöst nachgehen, mit getänzelten Einlagen bisweilen auf dem Platz, die man von diesem Kraftkoloß sonst gar nicht kennt. Anfangs war er trotzig gewesen, daß er nur auf Nummer drei gesetzt wurde, aber das war genau die richtige Stelle im Tableau, denn hier wurden ernsthaftere Konkurrenten als Mr. Chamberlin wie Mecir, Curren, Connors, Pernfors und Hlasek gleich reihenweise von anderen abserviert. Heute trifft er im Halbfinale auf Ivan Lendl, die Nummer eins der Welt, der aber auf dem tückischen schnellen Rasen von Wimbledon noch nie gewann. Nach seinem 7:6, 7:6 und 6:0 über den Connors-Bezwinger Dan Goldie (USA) erklärte der Tscheche, dem in London alle den Sieg gönnen würden, sein Erfolgsgeheimnis: „Ich glaube, das Gras mag mich dieses Jahr mehr als sonst.“

Im anderen Halbfinale steht, zur Überraschung vieler, John McEnroe. In einem erregenden Viersatz-Marathon-Match fightete er mit 7:6, 3:6, 6:3 und 6:4 den Schweden Mats Wilander nieder, der damit in der Tenniskathedrale traditionsgemäß im Viertelfinale gescheitert ist. Im Duell der Wuschelköpfe gab McEnroe seinem mitunter noch immer genialen Tennisspiel Vorrang vor der Rüpel-Show, agierte meist brav wie ein Cambridge-Schüler, und rastete in fast vier Stunden nur einmal gegenüber Schiedsrichter Kaufman aus, mit dem er sich im Laufe seiner ungestümen Karriere immer die heftigsten Debatten geliefert hatte.

Außerhalb seiner Einzel aber sorgt der große Mac aus New York weiter für genügend Gesprächsstoff. Erst vermeldete er Bombendrohungen, dann sprühte ihm jemand irgendetwas beim Verlassen der Anlage ins Gesicht, und seitdem zelebriert der 30jährige die Nostalgie um sich selbst nur noch wie ein Staatspräsident im dutzendstarken Polizeikordon. Im Doppel, wo er mit dem Schweizer Jakob Hlasek sich ebenfalls weiter durchsiegt, trägt er für die Fotografen ein fast turbanhaftes Stirnband wie ehedem.

Trotz dieser immer neuen Inszenierungen um sich selbst ist er für die Presse zum Problem geworden. Alle haben in der ersten Woche schnell ihre McEnroe-Geschichte geschrieben, in der Angst, er würde bald rausfliegen. Jetzt siegt er Spiel für Spiel, die britische Presse überbietet sich mit McRevivals, aber allmählich fällt auch den unseriösesten KollegInnen nichts mehr ein, und sie wollen, weil sie ihn fast alle nicht ausstehen können, lieber endlich die letzte McEnroe-Geschichte schreiben, die des Ausscheidens.

Was McEnroe im Spiel mit Wilander vermissen ließ, holte dann sein Landsmann Tim Mayotte gegen Titelverteidiger Stefan Edberg nach. Er tobte über den Platz, brüllte, schimpfte, zerschmetterte vor Wut seinen Schläger, und man mußte schon fürchten'der Riese würde den schmächtigen Schiedsrichter von seinem Stühlchen holen und ihn volley bis auf Lady Di's Schoß in die Königliche Loge lobben. Es war eine glatte Falschentscheidung, die ihn möglicherweise um den Satzausgleich im zweiten Tiebreak, den er dann mit 12:14 (!) verlor. Die Zeit der grandiosen Ballwechsel zweier Offensivspieler am Netz war dahin und das ungewohnt geschmeidige Riesenbaby verlor schließlich nach 6:7 und 6:7 schnell mit 3:6. Mayotte hatte in der Runde zuvor im Duell Pat gegen Patachon dem Winzling Chang in drei Sätzen keine Chance gelassen, so daß McEnroes angekündigter Striptease auf dem Centre Court für den Fall von Changs Endspielteilnahme leider ausfallen muß. Im Club war man darob doch recht erleichtert.

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