: In Peshawar herrscht die Doppelstrategie
Nach dem Dschalalabad-Debakel blasen die USA zusammen mit den Mudschaheddin und Pakistan zum diplomatischen und militärischen Marsch / Waffennachschub ist gesichert / Die Zukunft der Übergangsregierung dagegen ist ungewiß ■ Aus Peshawar R.Yusufzai
Die afghanische Regierung ist der von den Mudschaheddin angekündigten Offensive gestern zuvorgekommen und hat im Umkreis der östlich gelegenen Stadt Dschalalabad mehrere Stützpunkte der Widerstandskämpfer eingenommen. Die Regierungstruppen haben nach eigenen Angaben die strategisch wichtige Stadt Torchham am Khaiber-Paß blockiert. Ein Großteil der Bevölkerung dieser Stadt flüchtete nach Pakistan. Torchham ist von großer strategischer Bedeutung für die Rebellen, die von dort aus ihre verlustreiche Großoffensive gegen Dschalalabad gestartet hatten.
An der afghanischen Front hat man zu einem diplomatischen und politischen Spurt angesetzt, nachdem die militärische Situation in dem kriegszerütteten Land wieder am Status quo angelangt ist. In der Vergangenheit hat sich die Führung des afghanischen Widerstands eher durch aufgeblasenes Gerede als durch ihren Einsatz bei den Kampfhandlungen hervorgetan. Nach einer durch das Dschalalabad-Desaster aufgezwungenen Phase der Zurückhaltung scheint sie nun wieder den Anschluß gefunden zu haben. Raue Töne werden wieder angeschlagen, und wieder einmal geht die Kunde, daß eine militärische Lösung der Afghanistan-Krise möglich sei. Dies steht in scharfem Widerspruch zu der von Washington und Islamabad beim jüngsten USA-Besuch von Premierminsterin Benazir formulierten Verhandlungsstrategie.
Die Pakistan-Visiten des PLO-Führer Yassir Arafat und des neuen US-Gesandten beim afghanischen Widerstand, Peter Tomson, waren sicherlich die bedeutendsten politischen Ereignisse. Während Arafat nach einem Treffen mit pakistanischen und Mudschaheddin-Offiziellen wieder das Land verließ, weilt Herr Tomson noch immer und macht allmählich seine erste Bekanntschaft mit dem Lande. Außergewöhnlich war seine Ernennung nicht nur, weil er der erste US-Botschafter bei einer Widerstandsbewegung ist, sondern auch der Umstand, daß Pakistan inzwischen zwei US-Botschafter, einen für das eigene Land und einen für Afghanistan, beherbergt.
Für Yassir Arafat war es der zweite Versuch, zwischen dem pro-sowjetischen Kabuler Regime und den Mudschaheddin zu vermitteln. Seine Bemühungen dürften allerdings keine Früchte tragen, denn die Mudschaheddin mißtrauen einem Mittler, der sich in der Vergangenheit für Moskau und Kabul eingesetzt hat. Die in Peshawar ansässige afghanische Übergangsregierung verübelt der PLO, daß sie sich in der Vergangenheit gegen ihren „heiligen Krieg“ ausgesprochen hat. Premierminister Prof. Sayyaf, der wie Hekmathiar eine der fundamentalistischen Widerstandsgruppen anführt, verkündete hingegen noch immer, daß der Kampf eine religiöse Pflicht sei. Auch der Gesandte Tomson wollte in Arafat keinen unparteiischen Vermittler erkennen. Arafat läßt sich von diesen Anschuldigungen indes nicht abschrecken und plant in naher Zukunft einen Abstecher nach Kabul, um dort mit Dr.Nadschibullah Gespräche zu führen. Sein Sonderbeauftragter Abu Khalid hat sich bereits in Kabul eingeführt und darüber hinaus behauptet, daß vier der sieben afghanischen Widerstandsfraktionen in Peshawar Arafats Friedensplan unterstützen. Sprecher der Sieben-Parteien „Islamic unity of afghan mudjahedee“ (IUAM) haben dies indes dementiert. Zutreffend ist allerdings, daß die drei moderaten, royalistischen und nationalistischen Widerstandsgruppen angeführt von Prof. Modjadeddi, Pir Gilani, und Maulvi Nabi Mohammadi eine Verhandlungslösung bevorzugen würden, insbesondere eine, die auch die Rückkehr von Ex-König Zahir Shah garantieren würde.
Neuer Zankapfel Tompson
Vorstellig wurde der US-Gesandte Tomson bisher beim Präsidenten der Übergangsregierung Modjadeddi, beim Premierminister Sayyaf und bei dem radikalen Widerstandsfüher Yunis Khalis. Der für seine Unnachgiebigkeit bekannte Hekmathiar verweigerte sich bislang einer Zusammenkunft und hielt Tomson dazu an, ohne ausdrückliche Genehmigung seines Außenministeriums auch keine Kontakte zu anderen Widerstandsführern aufzunehmen. Dem Gesandten Tomson machte die Warnung wenig Eindruck. Er traf sich derweil nicht nur mit den Schlüsselfiguren der Übergangsregierung, sondern auch mit dem Gesundheits- und Erziehungsminister. Darf man den Gesandten nun empfangen oder nicht - einmal mehr bot er den für ihre Fehden berüchtigten Widerstandsführern Anlaß zum Streit. Hekmathiar saß schließlich außen vor, als sich seine Kollegen zum Stelldichein begaben.
Noch sind die Mudschaheddin-Führer nicht ganz glücklich mit dem Status von Tomson, dessen Sitz noch immer in Washington ist. Auch die Betonung, daß Tomson Gesandter beim afghanischen Widerstand und nicht bei der Übergangsregierung sei, sorgt für Verstimmungen. Washington will die Mudschaheddin-Regierung nur unter gewissen Bedingungen anerkennen: Erst wenn es ihr gelingen sollte, ein relevantes Territorium, eine breite Basis und internationale Verhandlungsfähigkeit zu sichern. Die gleichen Vorbehalte nennt Pakistan.
Die freiwillige Rückkehr einer beachtlichen Zahl afghanischer Flüchtlinge aus dem pakistanischen Belutschistan in die drei afghanischen Südprovinzen Kandahar, Zabul und Helmand und die Unfähigkeit, weder Dschalalabad noch Kandahar oder Khost einzunehmen, hat die Widerstandsführung in eine militärische und moralische Krise gestürzt. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen am 15.Februar diesen Jahres, hatten die Mudschaheddin mehr Rückschläge als Gewinne einzustecken, und das Debakel in Dschalalabad hat die Moral vollends auf den Nullpunkt gebracht. Der US-Gesandte Tomson hat prognostiziert, daß die Kampfhandlungen in den kommenden Monaten wieder eskalieren. Einige Mudschaheddin-Führer reden ebenfalls von der Wiederaufnahme der Kämpfe in fast allen dreißig Provinzen, besonders dort, wo die starken Schneefälle militärischen Aktionen so gut wie unmöglich gemacht hatten. Der Waffennachschub von Pakistan über die Grenze wurde verstärkt, und die Mudschaheddin horten bereits für die Zukunft. Auch mit einer neuen Lieferung der gefürchteten Stingerraketen können die Mudschaheddin rechnen. Blutgeruch liegt bereits in der Luft. Eines ist jedenfalls klar: Weder Moskau noch Kabul werden einen militärischen Sieg der Mudschaheddin zulassen, also noch mehr Blutvergießen. Da voraussichtlich keine der Kriegsparteien den Sieg davontragen wird, werden sie sich zu guter Letzt doch an den Verhandlungstisch begeben müssen - je früher desto besser.
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