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Schamir wählte die Einheit

■ Likud-Blocks übernahm Bedingungen der Hardliner für Schamir-Plan / Elf Tote bei Palästinenser-Anschlag

Jerusalem/Berlin (afp/taz) - Elf tote und 30 verletzte Israelis - so lautet die Bilanz eines Verkehrsunfalls, der gestern offenbar in voller Absicht von einem Palästinenser herbeigeführt wurde. Allem Anschein nach hatte der Attentäter den Fahrer eines Linienbusses auf der Schnellstraße von Tel Aviv und Jerusalem überwältigt und das Steuer in Richtung auf einen 30 Meter tiefen Abgrund herumgerissen. Das Fahrzeug fiel in die Tiefe und fing Feuer.

Verletzte Reisende, die mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus nach Jerusalem gebracht wurden, berichteten, der Attentäter habe „Gott ist groß“ gerufen, als er den Bus in den Abgrund lenkte. Sollten sich diese Meldungen bestätigen, handelt es sich bei dem Vorfall um den schwersten Anschlag seit Beginn des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten.

Die Meldung über den blutigen Vorfall verdrängte gestern mittag die in Israel ausgebrochene Kontroverse um die Entscheidungen des Likud-Blocks vom Vortag vorübergehend aus den Schlagzeilen. Das Zentralkomitee der stärksten Regierungspartei hatte am Mittwoch abend eine Resolution über einige umstrittene Zusatzbedingungen zum Plan von Ministerpräsident Jizchak Schamir verabschiedet. Der Schamir -Plan sah vor, Wahlen in den besetzten Gebieten abzuhalten. Die israelische Presse kommentierte unisono, Schamir habe seinen Plan der Einheit der Partei geopfert.

Führende Vertreter der Arbeiterpartei drohten in ersten Stellungnahmen mit einem Austritt aus der Regierungskoalition, doch handelte es sich meist um Politiker, die schon nach den Wahlen im Herbst lieber die Oppositionsbänke gedrückt hätten.

Während der Sitzung des 2.400köpfigen Likud-Zentralkomitees hatte Schamir allen Punkten zugestimmt, die von der „Dreierbande“ des Likud, Vizepremier David Levi, dem radikalen Expansionisten und Industrieminister Ariel Scharon und dem Vorsitzenden der liberalen Sektion im Likud, Jizchak Modai, formuliert worden waren. Die „Dreierbande“ führt seit Wochen einen Kampf gegen den Schamir-Plan, der vorsieht, daß die Palästinenser in den besetzten Gebieten Fortsetzung auf Seite 2

Kommentar auf Seite 8

zunächst Delegierte wählen, mit denen Jerusalem eine fünfjährige Phase eingeschränkter Autonomie unter Beibehaltung der Besatzung

aushandeln will. Das Zentralkomitee stimmte einstimmig vier Bedingungen der Hardliner zum Schamir-Plan zu: Die Palästinenser Ostjerusalems dürfen nicht an den vorgesehenen Wahlen teilnehmen; es gibt keine Wahlen vor Beendigung der Intifada; ein Palästinenserstaat sowie Gespräche mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) werden abgelehnt und die Besiedlung der besetzten Gebiete, insbesondere der Westbank, fortgeführt.

„Die Entscheidungen des Zentralkomitees des Likud haben eine neuen Situation geschaffen. Die Arbeiterpartei wird nicht als Feigenblatt für die Politik von Schamir und Scharon dienen“, sagte Energieminister Mosche Schahal, der für einen sofortigen Regierungsausstieg seiner Partei ist. Diese Resolution stelle ein Hindernis für den Friedensplan Schamirs dar, der von der Regierung angenommen worden war, sagte seinerseits Jizchak Rabin. Parteichef Shimon Peres warf Schamir vor, er habe vor den Hardlinern kapituliert, sprach jedoch nicht von einem möglichen Ausstieg aus der Regierung.

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