Von der fremden Kunst

■ Sonderausstellung des Chao Shao-an im Überseemuseum

Vorbei an Horden von goldgierigen Museumsbesuchern ging's zur Ausstellung des chinesischen Malers Chao Shao-an. Schwer fällt die Betrachtung der Bilder, denn einer ungebrochen europäischen Sichtweise entziehen sie sich, erscheinen dekorativ als Motive aus der Nippes-Abteilung der Kaufhäuser: Blumen, Vögel, Landschaften. Aber die Bilder müssen als Produkte einer fremden Kultur gesehen werden; schon die Umstände, die die chinesische Malerei geprägt haben, sind mit der europäischen nicht zu vergleichen. Bis Ende des letzten Jahrhunderts war die Kunst die Domäne von Amateuren: Politische Beamte und andere Privilegierte kultivierten sie als Freizeitbeschäftigung mit philosophischem Anspruch. Diese Bilder wurden auf Stoff gemalt, aufgerollt verwahrt, und nur zu bestimmten Anläßen in kleinem Kreis herumgereicht und betrachtet.

Auch Chao Shao-an benutzt die traditionellen malerischen Mittel und Materialien, aber er ist kein Amateur. Schon mit 14 Jahren wurde er auf eine Akademie geschickt, um den Beruf „Maler“ zu erlernen. Damals, also Anfang dieses Jahrhunderts, formierte sich eine Kunstrichtung, die westliche Einflüsse aufnahm und versuchte, diese in die klassische Malerei zu integrieren. Klassisch blieb in Chao Shao-ans Kunst die Technik der chinesischen Pinselschrift: Das ist eine sehr vielseitige Formensprache, die jede Handhaltung und jeden Farbspritzer benennt. Die Meisterschaft besteht darin, das überlieferte Repertoire zu perfektionieren. So wird die Malerei ausschließlich an Kopien gelernt. Chao Shao-an hat von der euröpäischen Kunst nicht nur das Interesse an Naturnachahmung, sondern auch die Vorstellung der Perspektive übernommen, um mit Hilfe dieser Mittel die „erstarrte“ Klassik zu beleben. Der Kunsterzieher Wolfgang Russek vom China-Kreis Bremen, der eine engagierte Einführung in die Ausstellung gab, sieht im Versuch, chinesische Transzendenz mit dem europäischen Wirklichkeitsanspruch zu verquicken, eine „Quadratur des Kreises“. Ob die Völkerveständigung des Chao Shao-an gelungen ist, mögen die BetrachterInnen selbst entscheiden. Ich bitte nur, beim Versuch, den fremden Kulturen gerecht zu werden, nicht zu vergessen, daß Modelle wie Wirklichkeitsanspruch und Zentralperspektive auch der europäischen Kunst nicht gerecht werden. r