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REVUELUTION PASSE

■ Die neue UFA-Revue „Circus Atlantis Berlin“

Es sei hier so beschrieben, wie es war: lieb und nett, mehr nicht.

Noch am Eingang zum UFA-Gelände empfangen den Gast große Stellwände, auf denen ihm noch einmal die nunmehr zehnjährige Geschichte der UFA vor Augen geführt wird. Auf den sauber-akkuraten Wir-sind-jetzt-wer-Schautafeln wirkt der dokumentierte Kommunenkampf fast wie eine ferne Legende: Demo-Fotos mit geballten Fäusten und Soli-Solos namhafter Künstler in den Kapital-Ruinen der ehemaligen Filmateliers.

Da nimmt es nicht wunder, wenn einem beim Betreten des blitzneuen Theatergebäudes Parolen wie „Nieder mit der Kultur der Herrschenden - für eine freie, eigene Kultur“ im erinnerungsohr nachklingen. Um so erstaunter ist man, daß der UFA-Circus sich mit seinem neuen Programm (im festen Bau) nunmehr einer ganz alten Kunstform der Bourgeoisie zugewendet hat: dem Variete, dem vielfältig Zerstreuten, das der Zerstreuung dienen soll und die Zuschauer mit Formästhetik, Akrobatik und Erotik gestrenge zum Voyeur erzieht. Und damit die feine Grenze zu Orgie und Chaos nicht überschritten werde, braucht Variete einen Conferencier, einen Drahtzieher und Fadenhalter, einen Verbindungsknüpfer zwischen Tanzen, Singen und Springen. Als ein solcher verliert UFA-Direx Yuppie allerlei begrüßende Worte und leider auch andauernd besagten Faden. Und weil seine Späße so artig zurechtgelegt sind, so spontan einstudiert und mehr oder minder sorgfältig auswendig gelernt, schmeckt schon das Entree fade wie ein Fertiggericht. Wie schön, daß da das „fliegende Chaos“ angekündigt wird, eine Gruppe von Ball und Keulen-Jongleuren. Sie wirbeln ihre gelben Bällchen nach alter Manier durch die fliegenden Hände, zu zweit, zu dritt, zu viert, aber nach fünf Minuten Werfen und Fangen haben sie ihren Radius abgesteckt, und es wird deutlich, daß sie sich mit ihrer Darbietung immer knapp unterhalb ihrer Möglichkeiten halten, was ein vorhersehbares Ergebnis zeitigt: Wer nicht wagt, verliert auch keinen Ball. Dann kommt wieder Yuppie und dann wieder eine Nummer aus dem Workshop, so nett und sauber vorgetragen, daß eine jede Mutti selig wäre, diese fleißigen Menschen ihre Kinder nennen zu dürfen.

So legitim es gewesen wäre, eine bürgerliche Kunstform zu enteignen und mit den eigenen Mitteln und Inhalten anzufüllen, die UFA hat diese Chance im wahrsten Sinne des Wortes verspielt, indem sie die urbürgerliche Behauptung bestätigt: Unterhaltung muß seicht sein und darf niemandem wehtun. Da wird ein Genre bloß kopiert, anstatt es zu parodieren, zu plündern und lustvoll auszuschlachten, und wo man das Vorbild noch nicht ganz erreicht hat, da gibt man sich possierlich verschämt und charmant. Und auch Dirk Müller, der als klassensymbolisierender Bühnenfeger mittendrin immer wieder büttenredend aus der leidvollen Geschichte der Kommune ein Witzkapital zu schlagen versucht, bedient nur die lange Tradition der schleichenden Kalauer: zehn Jahre Kommune, det heißt, mit'em Fahrrad jejen de Wand fahrn, weil de Biolampe kaputt is - alle Glühwürmchen erfroren! (tätä-tätä-tätä). Na, da haben wir also doch nichts verpaßt.

Rainer Maria Bilka

UFA-Circus-Revue „Atlantis Berlin“ Mi-So, 20 Uhr, in der UFA -Fabrik.

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