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Reformdebatte vertagt

■ Heftige Kontroversen bei Warschauer-Pakt-Jahrestagung / Honeckers Galle lief über / Gorbatschow: Niemand hat ein Monopol auf die Wahrheit

Bukarest (afp/taz) - Heftige Kontroversen und unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über die Reformpolitik prägten das am Samstag in der rumänischen Hauptstadt Bukarest beendete alljährliche Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt-Staaten. Besonders zwischen Ungarn und Rumänien sind die Beziehungen auf einem Tiefpunkt angelangt. Deutlich wurde aber auch die Spaltung des Paktes insgesamt in Reformbefürworter (Sowjetunion, Ungarn, Polen) und Gegner (DDR, CSSR, Rumänien).

Die internen Probleme des Bündnisses haben nach Ansicht von Beobachtern die Ausarbeitung weitreichender politischer Initiativen behindert. Einigkeit herrschte jedoch in der Abrüstungsfrage. Die Delegationen unterzeichneten Schlußresolutionen, die im politischen Teil nur den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen. Darin heißt es, die Mitgliedstaaten wollten ihre Beziehungen auf der Basis der Gleichheit, Unabhängigkeit und des Rechts auf Entwicklung einer eigenen politischen Linie ohne Einmischung entwickeln. Die Reform sei ein „kreativer Prozeß“, der in jedem Land „entsprechend seiner Traditionen und konkreten Bedingungen verwirklicht werden muß“. DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker war am Samstag beim Signieren der Schlußdokumente nicht mehr zugegen. Er hatte den Gipfel aus Gesundheitsgründen vorzeitig verlassen müssen.

Über die Reformpolitik war es bereits zu Beginn des Gipfels zu heftigen Diskussionen gekommen. Vor allem die DDR und Rumänien hatten Ungarn wegen seines Kurses in der Frage des Mehrparteiensystems angegriffen. Mehrere Äußerungen Gorbatschows am Rande des Treffens werden von Beobachtern als vorsichtige Unterstützung der Reformer im Warschauer Pakt gewertet. So soll der sowjetische Parteichef nach Angaben von 'Tass‘ die „Gleichberechtigung“ und „Selbstständigkeit“ der sozialistischen Staaten bei ihren Bemühungen um Fortsetzung auf Seite 2

Siehe auch Kommentar auf Seite 8

Reformen des politischen und militärischen Systems hervorgehoben haben. Auch ein Treffen Gorbatschows mit den „Reformern“, Polens Parteichef Jaruzelski, dem ungarischen KP-Chef Nyers und Ungarns Regierungschef Nemeth kann als Unterstützung gewertet werden. In der Schlußresolution festgehalten ist jedoch lediglich der beziehungsreiche Satz: „Niemand hat ein Monopol auf die endgültige Wahrheit“.

Zuversichtlich zeigten sich jedoch alle Warschauer Pakt -Staaten über die Aussichten der Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung und erwarten 1990 erste Ab

kommen. Die Nato wird aufgefordert, ihre angekündigte Abrüstungsinitiative vorzulegen. „Tiefe Besorgnis“ äußerten die sozialistischen Regierungschefs jedoch über die Absicht der westlichen Allianz, die nuklearen Kurzstreckenraketen (SNF) zu modernisieren. Kritisiert wurde auch die „Strategie der nuklearen Abschreckung“, die auf der jüngsten Sitzung des Nato-Rates wiederholt wurde.

Nicht voran kamen die Regierungschefs mit der angekündigten Strukturreform des Paktes. Derzeit sei kein neues politisches Kooperationsorgan vorgesehen, hieß es erläuternd auf einer Pressekonferenz. Der Warschauer Pakt „wird sich verändern“, von einer „militärisch-politischen“ in eine „politisch-militärische“ Organisation, sagte dagegen Gorbatschow nach dem Gipfel im sowjetischen TV.

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