piwik no script img

Der Tiefkühlfisch als Idealobjekt

■ Von Mapplethorpe bis Wegman: Ist „Polaroid“ ein Medium?

Vor vierzig Jahren begann Mister Edwin H. Land mit einer Serie fuxiger Erfindungen, die 1963 ihren vorläufigen Abschluß fand: im sich selbst entwickelnden Farbfilm. Polaroid heißen das Produkt und die Firma, die Lands Idee bis heute äußerst erfolgreich vermarktet. Etwas vom Reichlich-verdienten spendiert Polaroid regelmäßig und großzügig KünstlerInnen, die dann in New York oder Boston über gigantische Fotomaschinen für ein Projekt verfügen können. Polaroid kommt auf diese Weise zu der umfangreichsten und ambitioniertesten Sofortbild-Sammlung der Welt, und regelmäßig verschickt sie die neuesten Erwerbungen auf Welttournee.

Zur Welt gehört auch Bremen, und was das Fotoforum Böttcherstraße seit Freitag präsentiert, hat allerdings nichts mit den halbscharfen gummibärchenfarbenen Subito -Fotos von Onkel Theos Silberhochzeit zu tun (Volksmund:„Paranoid-Fotos“). Technisch vollendete Riesenfotos, über zwei Meter groß, demonstrieren, was Polaroid kann: auf Lucas Samaras‘ Selbstportrait in den Farben des Regenbogens sind die Barthaare in der Tat haarscharf abgebildet, jede Narbe ein Krater, und selbst mit der Lupe ist keine Körnung auszumachen.

Neben der im Entwicklungsverfahren bedingten Ultra-Schärfe des Polaroids ist es die Kürze der Entwicklungszeit (seit 1979 unter einer Minute), die Künstler wie Mapplethorp oder

William Wegman in die Studios von Polaroid locken, wo serielles Arbeiten auf großem Format möglich ist, d.h. der Fotograf kann sein Objekt, seine Inszenierung so lange unter ständiger Kontrolle durch Zwischenaufnahmen manipulieren, bis Licht und Position stimmen.

Noch eine dritte Besonderheit führt dazu, daß man vom Sofortbild als eigenständigem Medium reden kann: Es entstehen Unikate, unverwechselbar und immer zu identifizieren an den notorischen (produktionsbedingten) Schlieren am Oberrand. Das freut natürlich den Sammler; der Preis bleibt stabil und ist nie durch plötzlich auftauchende Abzüge gefährdet.

Das Experimentieren mit der noch nicht durchgetrockneten Farbschicht (Einritzen, Verschieben) ist, so zeigt „Selections 4“ der Sammlung Polaroid International, aus der Mode gekommen. Allenfalls bei John Reuters aus neun großen Polaroids zusammengesetzten Bild mit Schachspielern finden solche Versuche statt; die Farbschicht wurde vom Träger abgelöst und mit heißem Wasser bearbeitet, das Resultat wirkt wie frühes Mittelalter. Meist findet man ausgeklügelte Inszenierungen a la Gottfried Helnwein, uns Bremern spätestens seit seiner Polaroidaktion vor zwei Jahren bekannt - die mit brutal-medizinischen Geräten

verzerrten Gesichter. Oder die artifiziellen Hundeaufnahmen von William Wegman, ebenso brilliant wie lasziv-dekadent.

Das Medium Sofortbild taugt wenig zum Snapshot, will man der Auswahl „Selection 4“ glauben. Das tauglichste Objekt des Perfektionisten ist mithin das tiefgekühlte. Insofern repräsentativ fürs Medium ist der Japaner Yasuhiro Ishimoto mit seinen folienverschweißten Lebensmitteln aus dem Supermarkt; der banale Tiefkühlfisch wird äußerster Ästhetisierung unterworfen und schaut uns traurig an. Burkhard Straßman

Fotoforum Böttcherstraße, bis 23.8., täglich 10 bis 19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen