: AUFERSTANDEN IN RUINEN
■ Die Nachkriegsphotographien von Fritz Eschen
„Ich halte nichts davon, bildliche Darstellungen verbal zu interpretieren. Man sollte nicht in den Fehler verfallen, über die eher kunstgeschichtlich gebotene Erklärung dessen, was aus heutiger Sicht nicht mehr allen Betrachtern verständlich sein könnte, hinauszugehen. Was ein Bild bei seiner Betrachtung nicht hergibt, sollte man nicht hineinreden“, schreibt der Sohn von Fritz Eschen, Klaus, im gleichzeitig erschienenen Buch zu den Bildern seines Vaters.
Janos Frecot, Leiter der photographischen Abteilung der Berlinischen Galerie zitiert in einem weiteren Vorwort Fritz Eschen zu seiner Arbeitsweise: „Das Photographieren beginnt und endet mit dem Sehen. Sehen und Sehen sind zweierlei. Es gibt ein Sehen, das nur die Netzhaut des Auges reizt, ohne in das tiefere Bewußtsein einzudringen. Wirkliches Sehen fordert absolute psychische Empfangbereitschaft, es versucht, eine persönliche Beziehung zum Erschauten herzustellen. Nicht hier allein liegt das persönliche, oder, wenn man will, das künstlerische oder schöpferische Moment der Photographie. Kurz gesagt: hier offenbart sich die Persönlichkeit des Photographierenden.“
Fritz Eschen wurde 1900 in ein jüdisch liberales Elternhaus geboren. Nach seiner Ausbildung und Berufstätigkeit als kaufmännischer Angestellter arbeitet er ab 1928 als freiberuflicher Bildreporter unter anderem für Associated Press und die Reichsbahn, von denen er auch nach 1933 trotz Photographieverbot bis 1938 Aufträge erhält. Fast die gesamte Familie von Fritz Eschen, darunter auch zwei Söhne, werden von den Nazis umgebracht. Sein eigenes Überleben „verdankt“ er - nach nationalsozialistischem Sprachgebrauch
-seiner privilegierten Mischehe. Daß er trotzdem kein Zyniker geworden ist, läßt sich an den Bildern sehen, die er unmittelbar nach Kriegsende in der Stadt gemacht hat, in der er gelebt hat. Er ist befreit worden und lebt wie die Täter unter den gleichen Bedingungen des Besatzungsrechts in einer zerstörten Stadt. Wirklich nahe kommt er mit seiner Kamera dabei nur den Kindern, die auf keinen Fall Mittäter gewesen sein können. Die Erwachsenen bleiben auf Distanz. Sie spielen Normalität. Sie warten auf bessere Zeiten. Sie nehmen die Ruinen hin und flüchten sich, als alles in Scherben gefallen ist, unbeeindruckt schon wieder in die kleine Idylle. Offensichtlich nehmen sie die Absurdität nicht wahr, die Fritz Eschen dokumentiert, wenn auf einer zerstörten Fassade die Reklame „Eßt Fisch“ stehengeblieben ist. Und auch die Beseitigung aller Nazisymbole kann nicht verhindern, daß das Eiserne Kreuz auf einer Blindenbinde Erinnerungen wachhält, ohne daß dies jemandem auffällt.
Die Auswahl von Photographien Fritz Eschens stammen aus der Sächsischen Landesbibliothek, Abt. Deutsche Fotothek, Dresden, wohin Klaus Eschen 1972 die 60.000 Photographien gegeben hat, weil weder in Berlin noch in Westdeutschland eine Institution Interesse an dieser Sammlung hatte.
Fritz Eschens Photographien aus den Jahren 45-50 aber haben eher noch an Qualität gewonnen. Sie sind Spiegelbilder einer Zeit, in der kaum jemand sehen, hören und sprechen wollte. Möglich, daß die Kinder von damals das bis heute nicht gelernt haben.
Qpferdach
Die Ausstellung „Fritz Eschen - Photographien Berlin 1945 -1950 in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius-Bau ist bis zum 30. Juli täglich zwischen 10 und 22 Uhr geöffnet.
Der in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung erschienene, gleichnamige Band mit den lesenswerten Vorworten kostet 68 Mark, im Martin-Gropius-Bau während der Asustellung an der Kasse nur 48 Mark.
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