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Brunnenvergiftung im High-Tech-Land

In einem der Hochtechnologiezentren der Bundesrepublik, im bayerischen Ottobrunn, stehen die Wissenschafts-Cracks vor der Trinkwasserverseuchung wie der Ochs vorm Berg / Die Bürger halten still und vertrauen auf Maßnahmen von oben / Besonders Argwöhnische können jetzt Wasser aus München abzapfen  ■  Von Volker Janssen

An Gütern, auf die es anzukommen scheint, fehlt es nicht in Ottobrunn. Insofern gleicht der Ort an der südöstlichen Peripherie Münchens vielen anderen, die ebenfalls in „dynamischen und innovationsfreudigen“ Ballungszentren liegen. Er fällt aus dem Rahmen dadurch, daß er - erst recht für seine geringe Größe von 18.000 Einwohnern - von vielem mehr hat als die meisten anderen.

Warum soll Ottobrunn auf Münchens in penetranter Nähe dröhnenden Kulturbetrieb angewiesen sein, wenn es sich seinen eigenen zusammenkaufen kann? Wolf-Ferrari-Haus (der Komponist lebte einige Jahre im Ort) heißen die 22 Millionen teuren Markthallen dafür. Emilia Galotti, das 3.Ottobrunner Starkbierfest, Cosi fan tutte, die Große Mode-Revue der Firma M.M., der Urfaust der Firma J.W.G. und eine Ottobrunner Frühlingssinfonie waren im diesjährigen Märzangebot. Da kann man München glatt vergessen.

All das und einiges mehr in einer Kleinstadt - welcher große Otto mag da Mäzen sein? Aus der üblichen „gesunden“ Mischung kleinen und mittleren Gewerbes ragen zwei Fremdkörper heraus: ein kleiner und ein großer Gigant. Letzterer bekommt oft das schmückende Beiwort Rüstungs... Namen tun nichts zur Sache, wo sie eh fast jeder kennt. Ebenso die Produkte seiner Zusammenarbeit mit Giganten anderswo: Starfighter, Phantom, Tornado, Airbus, Ariane. Raumfahrtsysteme als Beitrag zu Europas „Autarkie im Weltraum“. Verteidigungssysteme mit dem „Trend zu mehr Intelligenz in Waffensystemen“. Verkehrssysteme. Auch - wohl als Kontrast zu verstehen - „Humantechnologien“, zum Beispiel als kommunale. Mit Produkten der Umwelttechnik „Nischen industrieller Märkte“ besetzen. Forschung ist das A und O für jenes traditionelle Bemühen, an der Spitze des Fortschritts zu stehen.

Nur akademische

Echtheit siegt

An der Spitze des Reichtums, zumindest im nicht gerade armen Landkreis München, steht Ottobrunn längst. Und wer könnte ihm seinen Spitzenplatz in puncto Bildung streitig machen? Quasi automatisch ist der „Technologiestandort“ auch Akademikergemeinde, mit der höchsten Dichte in Europa angeblich. Diese Reputation wurde eindrücklich bestätigt vom Ringen um den Bürgermeisterstuhl. Eine echte Universitätsprofessorin forderte einen Amtsinhaber heraus, der sich Professor a.D. nennt. Was er aber nach Meinung anderer nicht dürfen soll, da er nur die Funktion eines Professors an einer Fachhochschule ausgeübt habe. Der Wahlausgang zeigte, worauf es den Ottobrunnern ankommt: Die akademische Echtheit siegte; weder der Amtsbonus noch die rechte Partei konnten die professorale Fragwürdigkeit retten: Die SPD landete einen Coup in der Diaspora.

Was wäre so ein Ort ohne gehobene Restaurants? „Erlebnis -Gastronomie“ verheißen sie. Ein Asien-Brunch führt „für nur DM 29,00 ins Land des Lächelns“. Eine Lachsaktion wird gestartet. Die Fische werden ja wohl schon tot geliefert. Aber spätestens bei der „Kräutlrahmsuppe mit Krabben“ des Wochen im voraus angekündigten Frühlingsmenüs müssen einem informierten Ottobrunner Gourmet Bedenken kommen: Wenn in der Suppe nur das Wasser mit seinen Ingredienzen nicht störend durchschmeckt!

Denn in Ottobrunn sind die Brunnen vergiftet. Genauer: das Wasser. Denn woher das Gift kommt, ist ja eine der die Gemeinde so plötzlich bedrängenden Fragen. Vor zehn Jahren war die „Sicherstellung der Wasserversorgung erfreulicherweise nur noch ein finanzielles Problem“, mit dem Nachbarort Hohenbrunn zusammen baute man ein gemeinsames Wasserwerk. Aus dem floß es reichlich und gut. Bis es plötzlich aus scheinbar heiterem weißblauen Himmel auch hier so weit war: bedenklich hohe Nitratwerte, nur noch knapp unter dem Grenzwert; die Neuentdeckung Atrazin liegt schon 50 Prozent über dem, der ab Oktober 1989 in der EG gelten wird. Das würde bedeuten: Den Ottobrunnern werden die Hähne zugedreht.

Was tun angesichts des drohenden Einbruchs des Grauens in die wohllebig-informiert-kontrolliert-funktionierend-heile Ottobrunner High-Tech-Zivilisation? Welche Gegenstrategie würde hier, wo die technische Intelligenz zu Hause ist, entworfen? Ein kommunales Brain-storming drängte sich zusammen oder wenigstens auf. Konzentrieren wir uns auf drei Schauplätze.

„Sie können beruhigt sein..., keiner weiß Bescheid“

Am 13. Februar lädt die noch größte Partei zu einem Symposium über die dem Trinkwasser drohenden Gefahren. Auf dem Podium thront die Riege der Experten: ein Giftkundiger (heute geläufiger unter der Bezeichnung Toxikologe), zwei von der Landwirtschaft, ein Geologe, ein Wasserrechtler; dazu der Bürgermeister und ein Diskussionsleiter. Anderthalb Stunden lang reden sie abwechselnd über chemische und physikalische Zusammenhänge, Bodenschichten, Wasserkreisläufe, Düngung; daß „Wasser sicher unser Lebensmittel Nr.1 ist“, aber zehn Liter pur pro Tag tödlich wären - wegen der Osmose. Das Schlüsselstatement, vom Giftkundigen abgegeben: „Keine akute Gefährdung.“

Keiner widerspricht. Kein Hinweis kommt an dieser Stelle auf eine eventuelle toxische Gesamtgefährdung, resultierend aus der Summe von und dem Zusammenwirken mit Schadstoffen in anderen Nahrungsmitteln. Als ob die Ottobrunner nur vom Wasser lebten.

Zu Füßen der Experten lauscht das Publikum, etwa 250 Menschen jeden Erwachsenenalters. Sie wollen mehr wissen. Und dürfen auch fragen. Schriftlich, auf verteilten Karten, die, beschriftet, eingesammelt und an die jeweils zuständigen Experten auf dem Podium zur Beantwortung gegeben werden. Sicher eine Innovation für eine derartige Veranstaltung. Als Gründe werden genannt die Scheu vieler vor dem öffentlichen Reden und leichtere Dokumentation. Das Publikum nimmt diese Einbahnstraßenkanalisierung seiner Wißbegier, die Unterdrückung seiner bajuwarischen oder zugereisten Wortgewalt und den erzwungenen Verzicht auf Nuancierung oder Widerrede - fast - ohne Murren hin. Fragt also schreibend-komprimiert.

Wieviel Wasser darf man täglich trinken?

Unter anderem dieses: Können Säuglinge das Ottobrunner Wasser trinken? Kann das Nitrat Juckreiz verursachen? Ist Einschränkung des Fleischkonsums ein Gegenmittel? Welchem Zweck dient die Tierhaltung der hiesigen Bauern? Welche Düngemittel benutzen letztere? Woher kommt das Münchner Trinkwasser? Wieviel Wasser darf man täglich trinken?

Eine Mischung also aus Haushaltslehre, Heimat- und Erdkunde (Grundstufe) in der „Denkfabrik Bayerns“. Kognitive Entfernung von der eigenen Lebenswelt deutet sich an und damit Abhängigkeit von fremdem Wissen und Unzuständigkeit in der eigenen Betroffenheit. Die Experten in Ottobrunn antworten auf alle Fragen. Sehr vereinzelte Zwischenrufer werden, auch vom Publikum, mit dem Hinweis auf die Karten abgewehrt. Einer schafft es jedoch, nach Abstimmung auf dem Podium über seinen Antrag, eine Frage am Saalmikrophon stellen zu dürfen. Er beklagt das Fehlen einer lebhaften Diskussion, bezeichnet den Abend als „Unterhaltungsanstalt“, weist auf den Einfluß des einer nicht artgerechten Tierhaltung dienenden Maisanbaus auf die Wasserqualität hin. Erntet Aggression aus dem Publikum: Wo seine Frage sei. Die Landwirtschaftsexperten antworten gütig auch ihm.

„Trinkwasser ist kein Thema für Emotionen“, verteidigt der Diskussionsleiter die Form der Veranstaltung, sondern für nüchterne und sachliche Behandlung. (Beifall) Und: „Es geschieht etwas. Mit Vertrauen auf Wasserwirtschaft und Wasserrecht wird es schon gehen.“ Während einer kleinen Kontroverse zwischen Gemeinderäten und Experten flüstert ein Zuhörer: „Keiner weiß Bescheid.“ Als Nebenprodukt des Frage und Antwortspiels ergibt sich, daß Ottobrunner Wasser auch durch Asbestrohre fließt. Aber nur durch wenige. Keiner fragt und niemand sagt, durch wieviele.

Ein Gemeinderat bekennt sich als „total irritiert, ratlos, außerstande zu konkreten Beschlüssen“. Einmal sei alles harmlos, dann wieder drohe die Schließung der Brunnen. Keine akute Gefahr? Warum gibt es verschiedene Nitratgrenzwerte in der EG und in der BRD? Woher kommen die unterschiedlichen Meßwerte? „Das ist doch alles ungreifbar für uns. Was wollen wir? Was tun wir jetzt? Was können wir tun?“

(Bayerische Gemeindeordnung, Art. 57, Aufgaben des eigenen Wirkungskreises: „(2) Die Gemeinden sind ... in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, die aus Gründen des öffentlichen Wohls erforderlichen Einrichtungen zur Versorgung mit Trinkwasser herzustellen und zu unterhalten...“ Und in Art. 30, Rechtstellung, Aufgaben des Gemeinderats: „(3) Der Gemeinderat überwacht die gesamte Gemeindeverwaltung, insbesondere auch die Ausführung seiner Beschlüsse.“)

Neben der Denkfabrik

blüht das Nichtwissen

Der Bürgermeister will aber einen Beschluß, eine Art Vollmacht für sein weiteres Vorgehen: besonders belastete Brunnen abschalten, mit der Landwirtschaft Kontakte aufnehmen, die Suche nach der Herkunft der Schadstoffe intensivieren und, falls im Herbst der Atrazin-Grenzwert noch immer überschritten werden sollte, mit der Landeshauptstadt München über einen Anschluß an deren Leitungen verhandeln - nach vorheriger Umfrage bei der Ottobrunner Bevölkerung, da das Wasser dann rund doppelt soviel kosten würde wie jetzt.

Einige Räte halten dieses Vorgehen für selbstverständlich und einen Beschluß somit für entbehrlich. Der Bürgermeister will oder braucht aber einen: „Aus psychologischen Gründen! Wegen der Angst in der Bevölkerung. Es liegen mir schon 600 Unterschriften zum Wasserproblem vor. Es geht um ein Signal.“

Fünf Tage später verjagt die Herde diesen Hirten, verliert der Bürgermeister die Wahl, wird nach zwölfjähriger Amtszeit abgewählt. Dabei war er so unrepräsentativ für dieses kommunale Ganze nicht - nicht nur in der Hochschätzung akademischer Würden. Manchmal blitzte auch bei ihm Unsicherheit, vielleicht sogar Angst auf, etwa wenn er auf die Nochnichtgefährdung hinwies oder auf das Atrazin, das jetzt auch schon im Regenwasser sei. Doch schnell war stets wieder der Schutzschild aus kalauernder Taktik da, der (Selbst)beruhigung bietet. Seine Signale kamen offensichtlich an: zur Gemeinderatssondersitzung waren nur noch 25 bis 30 Zuhörer erschienen.

Ebensowenige kamen, als der Bund Naturschutz einem Hydrogeologen die Frage stellte: Wie sicher ist unsere Trinkwasserversorgung? Eine In-Group war beisammen, die sich Realismus zumutete. Der rein politische Charakter der sich als naturwissenschaftlich abgesichert gebenden Grenzwerte kam zur Sprache; die Erinnerung an das vor 20 Jahren hier fast noch ideale Trinkwasser wurde nicht unterdrückt, die Augen vor der Möglichkeit weiterer Verschlechterung in der Zukunft nicht verschlossen. Der Experte kaschierte weder seine Ratlosigkeit noch die Ignoranz der Wissenschaft gegenüber der Zahl X bislang unbekannter chemischer Verbindungen und ihrer Wirkungen im Trinkwasser.

Drei unterschiedliche Veranstaltungen zu ein und demselben Thema. Ihr Vorteil für den Ottobrunner Ortsfrieden lag darin, daß sie in ihrer Unterschiedlichkeit soziale Definitionsprozesse bezüglich des Risikos Trinkwasser, seines Ausmaßes und vor allem seiner Ursachen kanalisierten. Erst recht wurden Definitionskämpfe bisher vermieden. Während des Symposiums besorgte das die Regie der Fragekarten. Die Gemeinsamkeit der Angst über politische, soziale und andere Trennlinien hinweg brauchte noch nicht beschworen zu werden.

Sofortmaßnahme Zapfstelle

Ausgeliefert ist Ottobrunn trotzdem: sicher seinem zweifelsfrei belasteten Wasser, eventuell dem Urteil und den Irrtümern der fast wie das Wasser herbeiströmenden Experten und seinem von deren Tun unbeeindruckt weiterbestehenden Nichtwissen über das Woher und Wohin der Gefährdung.

Bei all diesem Suchen im Ottobrunner Untergrund stehen die beiden Technologie-Giganten des Ortes stumm beiseite, ihren Blick starr auf unscharf werdende Feindbilder oder ins All gerichtet. Als wären sie nicht von dieser Erde. In oder neben der Denkfabrik blüht das Nichtwissen. Ottobrunn ähnlich, nur auf weniger hohem Niveau. Ende April veranlaßt die neue Bürgermeisterin „als Sofortmaßnahme auf vielfachen Wunsch der Bevölkerung die Einrichtung einer öffentlichen Zapfstelle“. Gegenüber den außerhalb Ottobrunns angesiedelten Belastern des Wassers bleibt auch ihr vorerst nichts, als zu appellieren. Sieben Kubikmeter weniger belasteten Münchner Wassers (das seinerseits aus der Garmischer Ecke kommt) werden der Zapfstelle im ersten Monat entnommen. Das entspricht dem täglichen Trinkwasserbedarf von 40 bis 50 Personen. Eine Innovation mit niedriger Akzeptanz, würde man in der Entwicklungshilfe sagen.

Die Dämonie des heutigen Wassers ist eine synthetische, eine chemische, seine Chaotik hat eine glänzende Zukunft, seine Feindlichkeit ist erschreckend unsichtbar. Ob beruhigende Versprechen Gottes heute zu hören sind, dürfte vom jeweiligen Gehör abhängen. Aber längst (und noch immer) wähnt sich, wenn nicht „der Mensch“, so doch die Industrie als naturbeherrschend und zu Versprechen in der Lage: „So schaffen wir Trinkwasser von hoher Qualität, ohne die Umwelt zu belasten“ (Werbung eines Großunternehmens im März 1989).

Die Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltete kürzlich in Ottobrunn ein Gespräch über „Wehrtechnik und die Zukunft der Industrieregion München“. „Abrüstung“, so der Bauchredner des Ottobrunner Rüstungsgiganten laut lokaler Presse, „bedeutet zwar einen möglicherweise schmerzhaften Abschied von Gewohntem, zugleich aber eine Herausforderung und einen neuen Technologieschub.“ Wohin der was noch schieben soll, sagte er offenbar nicht. Erwähnt wurde auf dem Podium aber die „Überwachung von Umweltschutzmaßnahmen“ als mögliche neue Aufgabe. Warum also nicht die Bauern rundherum per Satellit überwachen, daß sie nicht mehr zuviel Dünger und Pestizide ausbringen und endlich das Ottobrunner Wasser entlasten? Irgendwie muß es doch weitergehen.

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