: MEINE REVOLUTION
■ Das Deutsch-Französische Volksfest
Hell, schön und weit ist es in Tegel, zumindest in der Müllerstraße. Rechts fliegen Flugzeuge in die Ferien, links grüßt die französische katholische Kirche mit einem Höllenbild. Da schmort die Konterrevolution. Der junge Mann am Eingang sagt noch „Merci“ und „Schönen Abend“, als ich ihm meine Eintrittskarte reiche, die gleichzeitig als Los gilt - vielleicht wird's ja noch ein Renault 19 oder ein Kofferset oder eine Flugreise nach Nizza - dann bin ich drinnen, also dabei.
Und stelle vergleichend fest, daß hier in Tegel der definitiv schönste Jahrmarkt weit und breit ist. Nicht nur, weil alle Maschinen und Dinge da sind, die man sich wünscht
-Achter- und Wasserbahn, „Omen, die erste Abenteuersimulationsanlage der Welt“, abgeschnittene Köpfe in der Geisterbahn und andere Schwindelmaschinen und eine Boxer- und Catchbude usw. -, sondern auch, weil alles so schön viel Platz hat. Für zehn Pfennige kann man im Blätterkino dem Maler sein Modell bewundern, für Einsfuffzich ein Bärchen schießen. Da steht dann drauf: „Du bist meine Revolution“, „Mein Hit“ oder schlicht „Ich mag Dich!“
Sehnsüchtig beäuge ich das Schild an einer anderen Bude: „Junger Mann zum Mitfahren gesucht!“ und steh‘ schon vor den Toren von Toulouse, dem Pappmaschemotto von diesem Jahr. Eine Bastille dient als Toilette und muß wohl als werkimmanente Kritik an den Revolutionsfeierlichkeiten gelesen werden: auf die künstliche Feier, symbolisiert durch die künstliche Bastille, auf der auch noch Bastille draufsteht, sei geschissen. Erhärtet wird diese Interpretation durch „Le Quadrille Occitan“, die in historischen Kostümen zu eben solchen Lautsprecherklängen gelangweilt Revolutionstänze tanzen und erst bei Prince and the Revolution aufwachen. Revolutionäre blicken von den Mauern; freund- und kindlich - Desmoulins, Saint-Just, Robespierre - oder finster: Marat und Danton, Liberte ou la mort.
Toulouse ist aus Pappe. Zufrieden schlendert man durch verwinkelte Innenstadtgassen, trifft auf Plätze, Springbrunnen und eine Combo namens „Hartmut“. Bistros, Restaurants, Schnecken, Scampis, Champagner, Croque Monsieur, Crepes und Kronenbourg; Boulespieler klackern am Rande eines Cafes - echte Franzosen. Die Heilsarmee sammelt und verteilt ihre Zeitschrift, den 'Kriegsruf‘, der sehr amüsant zu lesen und offizielle Zeitschrift des „Bal populaire“ ist, und in einer Ausstellungshalle hängen die Fotos der echten Stadt mit echten schönen Sätzen: „Im Frühlingslicht blöst öften der Wind 'd'Autan‘, und der düstere und mit Wolken bedeckte Himmel verkündigt Regen für die kommenden Tage.“
Inszenierungen - die Pappstadt - sind ja häufig viel angenehmer als die Wirklichkeit, dachte ich und fand in der Wirklichkeit dann noch einen Präser und unerträgliche Münchner, die da auf einen schüchternen Jungen einredeten: „Ach, du Franzose; was du machen hier?“ - „Ich spreche nicht Deutsch.“ - „Vous ne parle pas fran?ais?“ (ha, ha, ha), und danach wollte die Bande zum Kudamm „zum Angriff“ und sich die erste Frau schnappen, die ihnen gefällt.
Detlef Kuhlbrodt
Deutsch-Französisches Volksfest am Kurt-Schumacher-Damm noch bis zum 16. Juli; vom 14. bis 16. jeweils um 23 Uhr großes Brillantfeuerwerk.
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