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Sollen sie sie doch bei McDonald's essen

Nicht nur Bush, der Westen insgesamt hat dem Osten wenig zu bieten  ■ G A S T K O M M E N T A R

Eine amerikanische Regierung hat 200 Jahre nach der Französischen Revolution fast die gleiche Bemerkung gemacht wie Marie-Antoinette einst über die hungernden Franzosen: „Sollen sie doch Kuchen essen!“ Mit US-Präsident Bush erklärte schließlich nicht irgendwer, die Zukunft Polens liege bei Unternehmen wie Fast-food-Ketten. „Sollen Sie doch bei McDonald's essen“, lautet die amerikanische Antwort auf die Wirtschaftskrise in Osteuropa. Bush konnte den Ungarn und den Polen nur lächerlich wenig Geld anbieten, auch wenn er nun bei seinen Freunden nachfragen will, ob sie nicht auch noch ein paar Mark oder Yen übrig hätten. Bush blieb bei seiner Auffassung, nur vom Kapitalismus sei das Heil zu erwarten. Natürlich erwähnte er nicht die 500 Milliarden Dollar, die die Vereinigten Staaten ihren Kreditgebern schulden, oder den sinkenden Lebensstandard und soziale Probleme.

Kapitalismus und Demokratie seien untrennbar, erklärte Bush. Er forderte freie Wahlen in Osteuropa - aber er sagte nichts über die 50 Prozent der amerikanischen Wähler, die nicht zu den Urnen gehen. Er schwieg auch über die Korruption in der amerikanischen Politik. Gegenüber der Solidarität erwähnte Bush auch nicht die anti -gewerkschaftlichen Traditionen seiner eigenen Partei, die immer wieder Waffen gegen Streikende eingesetzt hat, ebenso 1970 gegen demonstrierende Studenten. Bushs Äußerungen waren ideologisch und politisch aussagelos. Die Sprache seiner Mitarbeiter hingegen war deutlich. Polen solle sich den üblichen Bedingungen des Internationalen Währungsfonds unterwerfen - was im Klartext bedeutet: Sparmaßnahmen für das Volk, Profite für Banken und Unternehmen. Gegenüber Ungarn soll für „normale Beziehungen“ seine letzten Restbestände von Sozialismus schleifen.

Demokratisierung ist rhetorisch für die Regierung Bush zwar sehr wichtig, faktisch jedoch weit weniger interessant als die Möglichkeit, andere Länder wirtschaftlich zu durchdringen oder geopolitisch gegen Gorbatschow zu benutzen. Das Auftreten des US-Präsidenten spiegelte die Widersprüchlichkeit und die Schwäche der amerikanischen Politik. Zwar sind die Vereinigten Staaten militärisch eine Supermacht, ökonomisch hingegen haben sie große Schwierigkeiten. Die USA fordern eine Loslösung und Liberalisierung in Osteuropa, aber sie sind nicht vorbereitet, den Preis dafür zu zahlen: Das wäre der amerikanische Abzug aus der Bundesrepublik. Inzwischen ist die westeuropäische Verantwortung, einen ernsthaften Versuch zur Behebung der wirtschaftlichen und politischen Krise in Osteuropa zu leisten, größer als vorher. Der Zynismus und der Unwille eines Teils der bundesdeutschen politischen Führung hat die deutsch-polnischen Beziehungen derart belastet, daß die Europäer kaum das Recht haben, sich den Vereinigten Staaten überlegen zu fühlen. Die Osteuropäer müssen erkennen, daß sie weitgehend auf sich allein gestellt sind.

Norman Birnbaum, Washington

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