: Das Geschichtsgrab
Tilmann Fichter über die Auseinandersetzungen um ein Mahnmal auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände in Berlin ■ D O K U M E N T A T I O N
In Berlin-Kreuzberg liegt seit über 40 Jahren ein Gelände brach, auf dem sich bis 1945 die Terrorzentrale der Gestapo bzw. der SS-Führung befand. Mitte der fünfziger Jahre ließ der Senat die Fassadenreste der ehemaligen Gestapo-Zentrale „abräumen„; in den sechziger Jahren betrieb dort ein Berliner Original ein „Autodrom“ für Anfänger ohne Führerschein. Erst Anfang der achtziger Jahre entdeckte der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm die historische Qualität dieses Orts längs der Mauer an der Niederkirchnerstraße (vormals Prinz-Albrecht-Straße) und rekonstruierte die Geschichte dieses Ungeländes in seinem Gutachten für die Internationale Bauausstellung (1982) bis in alle Einzelheiten. Seitdem wird in Berlin über die Gestaltung des Areals diskutiert. Zunächst schrieb der Senat von Berlin einen Wettbewerb aus; eine Jury vergab dann einen ersten Preis; anschließend weigerte sich allerdings der Senat, das in der Öffentlichkeit umstrittene Ergebnis zu realisieren. Im Zusammenhang mit der 750-Jahr-Feier Berlins wurde dann am Rande des Prinz-Albrecht-Geländes ein Behelfsbau errichtet, in dem seither eine ständige Ausstellung über die Topographie des Terrors zu sehen ist. (...)
Seit nunmehr sieben Monaten fordert die SPD-nahe Bürgerinitiative „Perspektive Berlin e.V.“ an diesem Ort die Errichtung eines unübersehbaren Mahnmals zum Gedenken an Millionen ermordeter europäischer Juden. Denn gerade hier, am Sitz von Himmlers und Heydrichs Terrorapparat, planten die Nazis die „Evakuierung“, „Abschiebung“, „Sonderbehandlung“ und letztlich auch die „Endlösung“ der Juden. Von hier aus wurden die „SS-Einsatzgruppen“ gelenkt, die unmittelbar hinter den Fronttruppen der Wehrmacht die jüdische Bevölkerung zusammentrieben und ermordeten. Und hier wurde auch die Deportation der Juden aus dem Reichsgebiet und den besetzten westeuropäischen Ländern in die Ghettos und Vernichtungslager in Polen vorbereitet und organisiert. In den Amtsstuben zwischen Prinz-Albrecht -Straße, Wilhelmstraße und Kurfürstenstraße erdachten die SS -Bürokraten die Todesfabriken in Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Belzec, Chelmno und Sobibor. Zwar „arbeitete“ Adolf Eichmanns „Sonderreferat“ - man beachte die sachliche Sprache der Mörder - in der Kurfürstenstraße 115-116; die Entscheidungen fielen jedoch bei der SS-Führung im Gebäude der ehemaligen Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht -Straße 8 bzw. im Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße 102. Hier wurde unter anderem die „Wannseekonferenz“ vorbereitet, auf der im Januar 1942 der fabrikmäßige Judenmord beschlossen wurde. Dies ist - unseren Erachtens der Ort, an dem wir Deutschen endlich ein nationales Mahnmal für die ermordeten Juden errichten sollten.
Wie dieses Holocaust-Mahnmal ästhetisch zu gestalten ist, kann erst nach der Ausschreibung eines Wettbewerbs entschieden werden. Die Grundidee ist jedoch, daß hier die 17 europäischen Länder genannt werden sollen, aus denen im Namen Deutschlands Juden verschleppt und ermordet worden sind, und daß die Zahl der Opfer dokumentiert wird. Mit diesem Mahnmal ist jedoch nicht beabsichtigt, einen steinernen Schlußstrich unter die jüngere deutsche Geschichte zu setzen. (...)
Eine noch vom früheren CDU-Kultursenator Volker Hassemer einberufene achtköpfige „Kommission über den künftigen Umgang mit dem Gelände des ehemaligen Prinz-Albrecht-Palais“ hat kürzlich bei einer Anhörung Anfang Juni 1989 die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals an diesem Platz mehrheitlich abgelehnt. Das Spektrum der eingeladenen Gruppierungen reichte vom „Verein aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V.“ und dem „Zentralrat der Juden“ über die „Aktion Sühnezeichen“, die „Allgemeine homosexuelle Arbeitsgemeinschaft“, den „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“, den „Verband der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) bis zur „Akademie der Künste“ und der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli“. Die Sprecher der meisten eingeladenen Organisationen vertraten die Auffassung, bei diesem Terrain handele es sich um einen „Ort der Täter„; eine künftige Gedenkstätte müsse deshalb einen Beitrag zur „Aufklärung über das nationalsozialistische System“ leisten. Wir halten diese Argumentation für falsch, und zwar aus folgendem Grund: Die Nazis haben diesen Ort bereits seit 1932/33 demonstrativ usurpiert. Zwölf Jahre lang war dann das Prinz-Albrecht-Gelände gewissermaßen das eigentliche Zentrum des SS-Staates. Auch wenn die Opfer der Nazis fast in ganz Europa ermordet wurden, so sind sie doch an diesem Ort gegenwärtig. Die aufklärerische Absicht derjenigen, die das Gestapo-Gelände ausschließlich als „Ort der Täter“ sehen und gestalten wollen, steht für mich außer Frage. Gleichwohl laufen sie Gefahr, die Erinnerung an die Opfer in die einzelnen KZ-Gedenkstätten abzudrängen.
Die unsinnige Trennung von Tätern und Opfern stellt aber geradezu den Kern der Argumentation dar, die der Gestaltungskonzeption des „Aktiven Museums“ für das Gelände zugrundeliegt. So heißt es dann auch in der offiziellen Stellungnahme: „Das ehemalige Gestapo-Gelände unterscheidet sich von anderen Gedenkorten, zum Beispiel KZ-Gedenkstätten, dadurch, daß - wenn man von den Verhören in der Prinz -Albrecht-Straße und dem sogenannten 'Hausgefängnis‘ absieht - zwischen Tätern und den von ihnen initiierten Verbrechen oft Tausende von Kilometern lagen. Der bürokratische Charakter, das Schreibtischtätertum, kommt überdeutlich zum Ausdruck. Die Täter ... waren keine primitiven Schläger, sondern zum Teil hochqualifizierte Beamte.“ Hier scheint die durchaus verdienstvolle Spurensicherung bei einigen dieser antifaschistischen Archäologen, Historiker und Pädagogen zu einer zunftspezifischen Berufsblindheit geführt zu haben. So wundert es nicht, daß bei dem Hearing einem so verengten Blick auf das Prinz-Albrecht-Gelände widersprochen wurde. Sowohl die Vertreter der „Jüdischen Gemeinde zu Berlin“ als auch des „Zentralrats Deutscher Sinti und Roma“ wollen ihrer Toten dort gedenken, wo deren Vernichtung geplant und koordiniert worden ist.
Der Hauptvorwurf gegen das Konzept der „Perspektive Berlin e.V.“ lautet: daß er einen Unterschied zwischen Juden und den anderen, aus ähnlichen Gründen Verfolgten mache. In der Tat stellt der Völkermord an mehr als fünf Millionen Juden ein singuläres Ereignis in der modernen Geschichte dar und markiert einen Zivilisationsbruch in Deutschland. Deshalb tritt die „Perspektive Berlin e.V.“ auch dafür ein, an diesem Ort endlich eine Gedenkstätte für die ermordeten Juden zu errichten. Das bedeutet aber nicht, daß wir einer Hierarchisierung der Opfer Vorschub leisten. Falls andere Gruppen, wie beispielsweise der „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“, auf diesem Gelände ebenfalls ein Mahnmal für ihre Toten fordern, würden wir dies unterstützen. Wir halten es jedoch für falsch, an dieser Stelle ein Mahnmal für alle Opfer des deutschen Faschismus zu bauen, weil dadurch die unterschiedlichen Dimensionen der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nivelliert würden.
Es ist richtig, wenn darauf hingewiesen wird, daß sowohl die Juden als auch die Sinti und Roma von den Nazis aus rassistischen Gründen verfolgt worden sind. Trotzdem ist es gerechtfertigt, den Toten beider Völker getrennt zu gedenken, denn sie verkörpern zwei unterschiedliche Kulturen und haben nur den deutschen Tod in Auschwitz und anderen Todeslagern in den Jahren 1940 bis 1945 gemeinsam. Die Juden haben sich nach der Französischen Revolution auf die Rechtsstaatsgarantie der bürgerlichen Gesellschaft in Europa und besonders auch in Deutschland verlassen, haben sich mehr oder minder voll integriert und sind von den Nationalsozialisten ausgegrenzt, stigmatisiert und ermordet worden. Die Roma und Sinti sind - soziologisch gesprochen in Europa eher eine Randgruppe geblieben. Wenn Juden, Sinti und Roma selbst zu der Überzeugung kommen, daß sie ihrer Toten an einem Ort und mit einem Mahnmal gemeinsam gedenken wollen, dann wäre dies etwas ganz anderes, als wenn die Nachgeborenen der Täter dies beschließen. (...)
(leicht gekürzt aus: Neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte 8/1989)
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