piwik no script img

MUTTER MACHT DAS LICHT AUS

■ Karen Mantlers „My Cat Arnold“ bei „Jazz in July“ im Quasimodo

Es gibt Katzenhasser und Katzenliebhaber, Karen Mantler bekennt sich zur letzteren Sorte. Ihre Katze Arnold, die sie von ihren Eltern geschenkt bekommen hat, sei ihr ans Herz gewachsen wie ein kleiner Bruder. Kein Wunder, ihre Mutter ist Carla Bley, der Vater heißt Michael Mantler, Autoren des wohl bis heute bedeutendsten Jazz-Konzeptalbums „Escalator over the Hill“, an dessen Realisierung über 150 Musiker von 1968-71 mitgewirkt haben. Darunter auch die damals vierjährige Karen, das prägt.

Heute hat Karen ihre eigene Band, trägt die Haare fast genauso wie die Mutter auf dem Foto von vor zwanzig Jahren, knapp über den Augen exakt waagerecht gestutzt, so daß sie die Leute noch sehen kann, diese ihr jedoch kaum in die Augen schauen können. Den Rest lang, dazwischen der böse ironische Schmollmund. Auch der verunsichert dreinblickende Jonathan Sanborn am Baß trägt eine schwere Last mit sich herum, sein Vater David ist einer der gefragtesten Session -Saxophonisten der USA. Den Sänger, Conferencier, Clown und Stänkerfritzen der Band mimt Eric Mingus, Sohn des legendären Bassisten Charles Mingus, der noch kurz vor seinem Ableben an den Rollstuhl gefesselt und lungenzerschunden ein ganzes Orchester leitete.

Musikanalytiker Sigmund F. würde wohl in allen drei Patientengeschichten eine übermächtige Elternimago konstatieren, die den Neurotikern nur den endgültigen Fall in ein Wahnsystem der vollständigen Identifikation erlaubten. Um sich wie scheinbar normal zu geben, müssen sie die Musik ihrer Eltern perfekt kopieren. Kaum heilbar diese Fälle, aber doch hochinteressante Untersuchungsobjekte. Die Musik leidet eher unter kabarettistischen Einlagen. (Eric und Karen kriegen sich dauernd in die Haare, sie erzählt von ihrer Katze, er miaut dazwischen.) Manchmal setzen gerade die anderen Musiker der Band, die keine berühmten Eltern haben, Akzente. Das Baritonsax von Pablo Calogero verziert die Balladen mit kräftigen, dunklen Farben. Steven Bernstein, der Trompeter, untermalt mit kühleren Barjazzausflügen. Aber allen scheint die Angst gemeinsam, radikal aus einem vorgegebenen Schema auszubrechen, sich mit einem Solo den Weg freizuschaufeln durch den Schutt, den die Alten zurückgelassen haben. Den Müll und Schrott aufzusammeln, neu zusammen zu basteln und den alten Avantgardisten zu zeigen, wie unendlich unmodern sie geworden sind. Aber keine Revolte der Jungen findet hier statt, eher die perfekte Wiederholung ihrer Geschichte, was sich noch nie als besonders produktiv erwiesen hat. Hört man die alten Platten der WATT-ECM-Serie von Carla Bley und Konsorten noch einmal durch, findet man hier alles wieder, wenn auch als Neukomposition getarnt. Das Label von Karen Mantlers Debütalbum nennt sich denn auch folgerichtig XtraWATT, ebenfalls aus dem Hause ECM. In den mangelnden Fähigkeiten der jungen Musiker liegt ihr Dilemma sicher nicht begründet. Alle sind ausgefeilte Instrumentalisten, wahrscheinlich schon von Kindheit an. Aber sie konzentrieren sich fast völlig auf die getragenen, balladesken Nummern, zuviel Trauermärsche, zuwenig Tanzmusik. Hier mal ein Stückchen Charlie Parker, mit der einschmeichelnd wohligen Harmonica von Karen Mantler verblasen, angenehm, nett, aber ohne Ecken und Kanten, die provozieren und wachhalten könnten. Es geht auf halb eins, zum Schluß noch eine Ladung Carla Bley, das Ausbuh-Stück. Bevor die Leute dich ausbuhen, tu du es mit ihnen. Der witzigste und originellste Song des Abends, komponiert von ihrer Mutter.

Andreas Becker

Heute und morgen, 22 Uhr im Quasimodo: Randy Brecker Quintett.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen