: Verkappter Antisemitismus?
■ Betr.: "Rettet die Vorhaut", taz vom 14.7.89
betr.: „Rettet die Vorhaut“, taz vom 14.7.89
(...) Die Vorhaut-Geschichte ist fadenscheinig von vorn bis hinten, von der „Definition über die stalinistischen Feministinnen bis zum fantasierten Alptraum des Neugeborenen. Das wäre noch o.k. - denn wer will schon unnötiges Leid in die Welt setzen -, wenn da nicht unterschwellige Vorurteile gegen das (auch noch selbstgewollte) physische Anders-Sein jüdischer Männer mitschwängen.
„Stammesführer Abraham“ habe diese „barbarische Barbiererei“ verordnet, die sich „mittlerweile auch in Europa, zumindest in England“, ausgebreitet habe. In der BRDeutschland, bitte schön, dürfte sich die Sitte recht wenig Beliebtheit erfreuen, da wir unser Bestes getan haben, ihre PraktiziererInnen auszurotten. Hierzulande dürften eher Bröckers Ekel und Schauder die Norm darstellen. Daß die Eltern von 90 Prozent der Amerikaner die Vorhautlosigkeit vorziehen, ist ihre Sache; wenn diese ganzen Amis, „in ihrer Sensibilität fortan deutlich beeinträchtigt“, dafür wesentlich unphallischer autofahren, könnte mensch die Beschneidung meinetwegen auch unseren deutschen Männern verordnen.
Wieso finde ich den Text antijüdisch? Es wäre billig zu behaupten, da die Verbreitung „dieser Mode“ auf den Ursemit zurückgeführt wird, daß also den Juden wieder mal die Schuld in die Schuhe geschoben würde. Auch wenn der „Babypapst“ Benjamin Spock für die gegenwärtige Ausbreitung der Pest verantwortlich gemacht wird. (...)
Vielmehr: Das aus dem Buch Wiedergegebene ist so voller Schwachsinn, Widersprüchliches und Hirngespinste, daß dessen anscheinend ernsthaft angeekelter Abschreiber von Abscheu vor den minderwertigen Verstümmelnden und Verstümmelten beseelt (gewesen) sein muß, um alles so gutgläubig schlucken zu können. Daß diese Un(ter)menschen in der BRDeutschland die Juden sind, steht außer Frage. Bloß keine feministisch-stalinistischen (zeitgemäßer als „jüdisch -bolschewistisch“) Praktiken bei uns tolerieren.
Und: Die programmatische Überschrift, eine nicht-existente „Gefahr“ (von schnippelnden Volks- bzw. Männerschädlingen) heraufbeschwörend, sowie die Wahl des unüblichen hervorherbenden Schrifttyps deuten darauf hin, daß Mathias Bröckers seine GesinnungsgenossInnen bei der taz findet. Von zweifelhaften ejakulationstechnischen oder ästhetischen Rücksichten abgesehen, könnte mensch sich bei den hiesigen männlichen hygienischen Gewohnheiten nach Geschmacks- und Geruchsgesichtspunkten die baldige Meldung wünschen: „Deutschland ist somit vorhautfrei“.
H.M.-K., Hamburg 50
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