: GLAS! PROST! WASSILI!
■ Zum 100.Geburtstag des Architekten Wassili Luckhardt (1889-1972)
Zur Zeit funkelt aus allen einschlägigen Architekturfachblättern ein dreigeschossiges, langgezogenes Lichtschiff, das über vier einstöckigen Pontons schwebt. Hell erleuchtet vor tiefschwarzem Himmel erscheint Architektur aus strahlender Luft und Glas fast gegenstandslos. Wird der Lichtbau, das 'Landesversorgungsamt Bayern-München‘, den Wassili Luckhardt 1956/57 entwarf, ausgeknipst, bleibt nur noch ein dunkles Skelett übrig, das so zerbrechlich und dürr wie die Knochen derer ist, die sich täglich dort hineinschleppen, um ein paar lumpige Mark für ihre abgeschossenen Glieder abzuholen.
Ins öffentliche Bewußtsein gehoben wird der Bau deshalb, weil er morsch ist, unbrauchbar für die heutigen Zwecke, wo Versorgung per Überweisung funktioniert - oder nicht - und Luckardts treppenlose Anstalt durch maschinenlesbare Auswürfe ersetzbar geworden ist. Wird das Bröseln nicht politisch gestoppt, wie die Denkmalschützer im bayrischen Landtag fordern, sieht der Bau seiner Sprengung entgegen: Dann fliegen Stahl, Beton und tausendmal Glas, Luckhardts Lieblingsmaterial, in die Luft.
Furore machte der Berliner Architekt erstmals 1921/22, als sein Entwurf für das 'Turmhaus am Bahnhof Friedrichstraße‘ den zweiten Preis der Jury erhielt. Für das schräg ansteigende Hochhaus sah Luckhardt einen Eisen -/Glasdachabschluß vor, wobei die Dachtonne in die Fassade überging und weithin sichtbar war.
Bauten aus durchsichtiger Oberfläche, besser Architektur als keramische Plastik, waren schon die Entwürfe für einen 'Kultbau‘ (1919) und ein kristallines 'Versammlungsgebäude‘ (1920) gewesen, die Luckhardt schon früh als Epigone des Pankosmikers Paul Scheerbart und als Jünger Bruno Tauts enttarnten, denn die expressiven Kuben beider Hallen sind aus gleichmäßigen Rhomben und Dreiecken geformt. Wände, Decken, selbst der Fußboden sind aus Glas, und die Beleuchtung verwandelt den Bau zum hellen Stern, der im All zu fliegen scheint. „Als solle die Erde zum Kristall umgebaut werden (...) wo Reinheit aus Weglassungen und Einfallslosigkeit besteht und nur noch geschliffene Leere in Licht und Luft gebildet werden“, kommentiert Ernst Bloch im 'Prinzip Hoffung‘ lästerlich die Glasermeister.
Abstraktionen vom Organischen und pure Funktionalität werden für Wassili Luckhardt auch bei seinem gebauten Werk zum bestimmenden Prinzip. Doch im Unterschied zu Mies van der Rohes ästhetischem Programm für Architektur, „form follows function“, oder Le Corbusiers sozialutopischer Idee der „Wohnmaschine“, entwickelt Luckhardt für seine Häuser den Gedanken artifizieller Plastizität im Raum (freier Grundriß, variable Wände, abgesetzte Terrassen etc.). Statisch bleibt er damit der konstruktiven Methode der 'Moderne‘ verpflichtet, künstlerisch entsteht in der Architektur eine imaginäre Skulptur, wenn nicht ein Gemälde.
So gleicht das Ateliergebäude der 'Reihenhaussiedlung Dahlem‘ (1926) in der Ansicht einem abstrakten Bild Piet Mondrians. Der Körper löst sich in eine zweidimensionale geometrische Fläche auf, die nur durch unterschiedliche Farbigkeit strukturiert ist. Auch die 'Einfamilienhäuser in der Schorlemerallee‘ (1928) verwandeln sich zu betongerahmten Bildflächen, in denen die weiße glatte Wand als Grund für die blau und rot gestrichenen Fensterrahmen dient, die tagsüber schwarze Glasflächen einschließen, nachts weiße. Schließlich ist Luckhardts 'Wettbewerbsentwurf für den Umbau des Alexanderplatzes‘ (1929) ein einziges Strahlenbündelbild geschwungener Lichtbänder, als sei die Dynamik des Verkehrs in die Vertikale gerutscht und Autoscheinwerfer zu Kurven vor einer zu lange belichteten Optik geworden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpft Luckhardt beinahe bruchlos wieder an das ästhetische Konzept der Moderne an. 1957 erstrahlt das Haus des Architekten im gleichen Licht wie seine Villa in Velten (1932) es tat, gebaut aus Stahl, Beton und Glas, ähnlich dem berühmten Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona (1929) von Mies van der Rohe. Vergleicht man auch Luckhardts Wohnhausgruppe 'Kottbusser Tor‘ (1958), drei Hochhäuser mit Einkaufspassage, mit dem Betonriegel des NKZ, so wird jetzt noch deutlich, daß farbige Komposition, verglaste Treppenhäuser und offene Fassaden eine andere Sachlichkeit meinen als die Wohncontainer gegenüber. Bauliche Proportionen aus durchsichtiger Egalität, Helligkeit und Transparenz sind dort abgeschrieben.
1972 stirbt Wassili Luckhardt in Berlin. In einem Nachruf auf einen der letzten Avantgardisten schrieb damals Günther Kühne in der 'Bauwelt‘, daß das Beharren Luckhardts auf einer Variante des Neuen Bauens der zwanziger Jahre, der „kristallinen Klarheit“, für dessen Architektur bis zum Schluß bestimmend bleiben sollte.
Darum müßten eigentlich zum 100.Geburtstag am 22.Juli alle Gebäude Luckhardts kurz aufstrahlen. Kultisch!
rola
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