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Drei Nummern zu groß

■ „Torquemada“ - die erste Inszenierung in Münchens neuem Autorenprojekt im „pathos transport“

Nachdem man in München so ziemlich alle Behausungen für experimentelle Kunst abgerissen hat (Cola-Hallen, Alabama und Negerhalle etc.), will das kleine Theater „pathos transport“ zumindest einem Teil der Obdachlosen eine neue Heimat geben. Junge Theaterautoren haben hier die Möglichkeit zusammen mit den Schauspielern, ihre Stücke und neue Formen von Theaterarbeit auszuprobieren. Ziel des Projekts ist es, „dem zeitgenössischen und zukünftigen Theater neue Impulse zu geben“.

Wie wenig neu und vor allem professionell das Ergebnis einer solchen Symbiose zwischen unbekannten Autoren und Theatermachern sein und wieviel wichtige Distanz dabei verloren gehen kann, zeigt der erste Versuch: die Uraufführung von John Murdochs Stück Torquemada, Beklagt sich der Engländer im Programmheft noch über die mangelnde Risikobereitschaft und die Vorliebe des deutschen Theaters für Vergangenheitsbewältigung, tut er mit seinem „Lehrstück über die Verdrängung“ doch eigentlich nichts anderes.

Aus dem Begründer der spanischen Inquisition, Thomas de Torquemada (1420-1498) macht der Autor einen teutonischen Judenschlächter. Im Sterbebett quälen den greisen Gottesdiener die Dämonen seiner Vergangenheit. Er erlebt, wie sein junges (und blondes) Alter ego von Räubern überfallen wird. Da sie ihn als Juden beschimpfen, weiß Torquemada für den Rest seines Lebens, daß „die Juden nach Teufel riechen.“ Der Bogen zum Holocaust spannt sich jetzt wie von selbst: In gestreifter Häftlingskleidung (mit gelbem Judenstern) liegt eine Jüdin in Ketten.

Mit den simplen Rückblenden umgehen der Autor und die Regisseurin Sara Tiemann alle komplizierteren Momente, die im Stück durchaus zu finden sind. Torquemada war nämlich, ebenso wie Heydrich, selber Jude. Auch der Konflikt zwischen der Macht der katholischen Kirche und der christlichen Ethik wird nicht spürbar, ebensowenig die blutige Konkurrenz zwischen den beiden Glaubensrichtungen. Sara Tiemann erstickt jedes wirkliche Gefühl in rituellen Bildern und antisemitischen Haßtiraden. Das Opfer ist, stellvertretend für alle ermordeten Juden, eine Frau. Warum eine Frau? Sara Tiemann: „Die Juden sind eine Gruppe, die - außer daß man sie verfolgt - etwas repräsentieren, was anstrebenswert ist. Mit den Frauen ist das ähnlich.“

Bis Herbst will das Autorenprojekt seine Möglichkeiten (und Grenzen) mit kleineren Veranstaltungen ausprobieren: Autorendiskussionen, Workshops und dramatische Skizzen.

Bettina Bausmann

Torquemada im „pathos transport“ noch bis Ende des Monats von Mittwoch bis Sonntag jeweils um 20 Uhr

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