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Kunstfeindliche Hosenböden

■ Bei aller Liebe: An Bremens jüngstem Kunstwerk reißt man sich buchstäblich den Arsch auf

Mit der Frage, was es mit der Kunst auf sich hat, tun wir Bremerinnen uns bekanntlich schwer. Aus talk-show und Volkshochschulkurs wissen wir wohl, daß Schönheit heute ein fragwürdiges Kriterium der Kunstkritik geworden sei. Widerwillig und ohne rechte Überzeugtheit ahnen wir, daß an die Stelle der ästhetischen Funktionen des Kunstwerks möglicherweise seine provokatorischen Funktionen getreten seien. Und in unserer Ratlosigkeit haben wir uns schließlich auf einen ureigenen bremischen Maßstab der ästhetischer Wertung verständigt: Kunst darf unsretwegen alles, solange sie nicht Stöckelschuhe runiniert und selbst im

Zustand der Volltrunkenheit noch ungehindert zu passieren ist.

Das unterscheidet in Bremen selbst den verpißtesten Laternenpfahl noch von großer Bildhauerei: Wer im Vollrausch gegen einen Lichtmast rennt, weiß, wofür er leidet, und würde seine Empörung kaum je einer Leserbriefspalte überantworten. Neumodische Kunst dagegen, haben wir gehört, wirkt irgendwie nutzlos anstößig und in Bremen wortwörtlich genommen.

Seither haben wir in Bremen den Kampf um die „Fußläufigkeit“ der Kunst im öffentlichen Raum aufgenommen. Inzwischen geht der Kampf in seine zweite Phase. Nachdem wir alles buchstäblich „platt“ gemacht haben, beginnt jetzt der Kampf um die Begrünung und Beblumenkübelung der bremischen Plattheiten, und erst wenn den Marktplatz draußen nur noch seine Weitläufigkeit vom Schrebergarten daheim unterscheidet, wird auf ihm die Siegesfanfare des guten Geschmacks geblasen.

Jetzt hat die Kunst zurückgeschlagen. Direkt vor der Glocke wagen sich sich massive Granitblöcke unter dem Vorwand, „Kunst zu sein, frech in den Weg von Konzertbesuchern und

Kunstbanausen. Es wird nicht lange dauern, bis Heerscharen von Fußlahmen und Beinbrüchigen sich in unverbrüchlichem Widerstand gegen die schlangenhaft grazil und auch wieder massig unverrückbaren Steinquader vereinigt haben.

Noch ist die Front verunsichert. „Ich kann das nicht beurteilen“, gab eine Betrachterin gestern nach einigem Grübeln zu,

um sich schuldbewußt zu rechtfertigen: „Ich komm‘ nämlich nicht aus Bremen. Ich bin nur Besuch.“ Eine zweite mochte sich ebensowenig zu ihren ästhetischen Eindrücken bekennen, entdeckte immerhin einen Vorzug der neuen Errungenschaft: „Sie ist ja groß genug, daß man sieht, wenn man fällt und umzulaufen kann.“ Eine dritte hielt sich „als einfache Bürgerin“ ohnehin nicht zu wertenden Äußerungen autorisiert und fand stattdessen: „Es ist das Recht jeder Stadt und ihrer Regierung, Kunst aufzustellen, wo es ihr gefällt.“

Gleichwohl dürfte es die neue Skulptur ihren KritikerInnen leicht machen. Sie ist einfach gepfuscht. Wo scharfe Winkel und hochglanzpolierte Flächen ebenso für ästhetisches Ineinandergreifen der einzelnen Blöcke wie für die Sitzbequemlichkeit ausruhender Passanten sorgen könnten, haben dilettantische Steimetze einfach Riefen und Löcher in den kostbaren Stein gehauen. Unfreiwillige Bruchstellen unterbrechen die Schärfe der gutgemeinten Geometrie. Statt ruinierten Schuhwerks wird diesmal wahrscheinlich zerrissenes Beinkleid der Bremer Kunst den Garaus machen.

K.S.

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