Swinging Metropolis

■ 36.Musikfront

Ab 1.September beginnen die Einschränkungen: England ist out; öffentliches Spielen von Feindesgesang untersagt. Zwar nur auf Bestellung und ohne Vorspielen, aber immerhin werden noch zwei Jahre lang US-amerikanische Platten verkauft werden. Horst H.Lange berichtet im Katalog Schock und Schöpfung: “...man zerbrach Hotplatten von Jazzfreunden, welche diese Platten in aller Naivität in den gewohnten Lokalen auf den Teller legten (Kommentar eines der Lokalinhabers, der eine Jazzplatte vor aller Augen zerbrach: 'Ick will keenen Ärjer ham, det ist feindliche Musik.‘). Ferner gab es Ärger am Badestrand, wenn es aus den Koffergrammophonen jazzig tönte und NS-Schnüffler zur Stelle waren. Bis Ende 1941 konnte man sich noch herausreden: 'Wir spielen beileibe keine englischen Platten, die sind alle aus Amerika...wir mögen keine englische Musik (sic)'; dennoch ging so manche Platte zu Bruch. Zum Glück hielten liebe Plattenverkäuferinnen unter dem Ladentisch immer wieder einige Reserven bereit, und sei es aus dem reichhaltigen Altmaterial (man mußte wegen des Schellackmangels zwei alte Platten abgeben, wenn man eine neue kaufte). Als Ersatz klang aber überall deutsche 'Swingmusik‘, darunter auch viel 'Schräges‘...“

Zwischendrin, im Siegestaumel ob der erfolgreichen Besetzung Frankreichs, darf sogar kurzzeitig wieder getanzt werden. Nicht nur das, die auf Urlaub kommenden Soldaten schleppen kofferweise Jazz & ausländische Schlager ein; die Seuche ist nicht totzukriegen. Und der Fan läßt sich was einfallen.

Wer kann, kauft sich nicht gerade billige SchneideAufnahmegeräte nebst Tonfolien (beides eigentlich für die Industrie gedacht) und richtet sich sein eigenes Kopierwerk ein. Wie heute per Tonband „schneidet“ hier im wahrsten Sinne des Wortes ein Stahlstichel den Ton in die weiche Folie. Riskant isses freilich, dies Unterfangen; selbstverständlich werden so auch Darbietungen des Feindsenders auf die Gelatineschicht fixiert. Ein Bereich von hohem Interesse für die Reichsjugendführung (Schaun wir mal, wo sich wieder „Cliquen & Banden“ bilden) & die Gestapo: Razzien in den Oberschulen sind die Folge. Der schon früher angesprochene Unterschied zwischen dem seriösen Jazzfreund und eher oberflächlichen Swingern findet auch hier seinen Ausdruck. Ersterer ist bemüht, klassischen Jazz ins Material zu sticheln und schaut verächtlich auf jene herab, die sich scharf zeigen auf die x-te Kopie ihrer „Hymne“ In the Mood und weitere tanzbare Hits.

Der Ernsthafte hoppelt freilich auch nicht, sondern hockt horchend & analysierend im Melody-Club, der auch nichtarischen Jazzern eine Zeitlang gewissen Schutz bietet. Das englische Y betont der Eingeweihte. Nach außen heißt der Treff Melodie-Club, angemessen zickig dem zackigen Deutschtum. Was das heißt, „zickig“, erfahren wir vom Komponisten Helmut Gardens. Als Gast einer Folge der Sendereihe Gutes von gestern plaudert er über Kurt Hohenberger, Solist unter anderem bei Teddy Stauffer, bevor sein eigener Name für eines der beliebtesten Tanzorchester steht. Ein Trompeter sei er gewesen, der die Sätze „bei den Aufnahmen führt und auf Zehntelsekunden hinschleudert“, ein ausgezeichneter SweetTrompeter, bei dessen HotImprovisationen es allerdings haperte. Wer aber nicht Hot blasen kann, wird als zickig bezeichnet. Und als der Arrangeur anweist: Die folgenden sechzehn Takte blasen wir mal bewußt zickig, fragt Hohenberger: Und wie blas ich? Die Antwort lautet lapidar: Du bläst wie immer.

Es ist dies die Zeit, da in Deutschland mißliebige Musik relativ ungehindert durch die besetzten Länder fegt. Besonders grotesk, daß jene eingangs erwähnten „eingeschleppten“ Jazzplatten ohne Wissen der Landser, die sie in Frankreich etwa erwarben, quasi zu ihrem Geburtsort zurückkommen. Oft jedenfalls stammen sie aus deutschen Pressen, „denn Deutschland besaß die größten Schallplattenfabriken des Kontinents und deckte nun den Markt, den vor dem Kriege der englische Export versorgt hatte. Da man Devisen brauchte und die Wirtschaft in Schwung halten wollte, kümmerte es die Machthaber wenig, was da exportiert wurde, ob 'Jazz-Musik‘, ob 'Nichtarische Künstler‘ oder deutsche Tanzmusik. Den Nutzen hatten die Jazzfans der besetzten Länder.“ (Lange)

Nicht minder kurios mutet an, daß die Nazis in ihrem hoffnungslosen Kampf gegen 'artfremde‘ Klänge diese noch forcieren, indem sie Negativbeispiele in Form von Zeitungsmeldungen & Rundfunksendungen bringen. Nur: die Fotos & Artikel - wie hetzig auch immer - werden vom verjazzten Enthusiasten ausgeschnitten & gesammelt, abgeklopft nach Informationen zwischen den Zeilen; daß die abschreckend gedachten Musiksendungen einen Lichtblick im täglichen RadioEinerlei darstellen, dürfte klar sein. Den Vogel schießt aber ein Film ab, von dem Hamburger ExSwinger Günther Lust (in Swing Heil, Transit Verlag) berichtet, daß unbotmäßige Jugendliche ihn als Strafe anschauen mußten: „Rund um die Freiheitsstatue hieß der. Ein Hetzfilm über Amerika. Plötzlich zwischendurch wahnsinnige Szenen von Orchestern mit Negern. Wir war'n begeistert. Wir standen auf den Stühlen und johlten. Da haben sie den Film dann abgebrochen. Und auf dem Heimweg zu unserer Unterkunft haben sie uns dann fertiggemacht. Da haben sie uns nachher geschliffen, daß uns der Schwanz nach hinten stand.“

Ist diese Begebenheit aus der Perspektive dessen zu verstehen, den man bereits am Wickel hat, läuft das Filmereignis im Winter '41/42 hier im UFA-Palast am Zoo, vor freiwilligen Zuschauern, die sich nicht weniger freuen. Zusätzlich belegt die Hauskapelle - mehr oder minder gekonnt - daß man „so eine Musik auch in Deutschland spielen könne“. Bald, aber zu spät, verschwindet das cineastische Eigentor von den Spielplänen.

Norbert Tefelski