: Oh, wenn ich itzt ein Franzose wäre!
■ „Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit“: Die große Nürnberger Ausstellung über „200 Jahre Französische Revolution in Deutschland“
Frankreich schuf sich frei. Des Jahrhunderts edelste That hub / da sich zu dem Olympus empor. Das sind sie also, das sind sie, / Unsere Brüder, die Franken; und wir? / Ach ich frag umsonst: ihr verstummet, Deutsche.“ Der da 1789 so enthusiastisch für die fränkische Revolution schwärmte, war der sonst so heilignüchterne „Messias„-Dichter Klopstock. Und der fromme Patriot stand mit seiner Begeisterung nicht allein: Hegel begrüßte den „herrlichen Sonnenaufgang“, Kant rühmte die Folgen des Umsturzes als „groß, unendlich groß und wohltätig“. Aber derselbe Klopstock, der für seine Oden aus dem Honigmond der Revolution vom Konvent mit dem französischen Bürgerrecht geadelt worden war, wandte sich bald enttäuscht von den entfesselten Franzmännern der „terreur“ ab: „Und ein Kummer wie verschmähter Liebe kümmert mein Herz.“
Klopstocks kurze und heftige Liebesaffäre mit der revolutionären Marianne war symptomatisch für die deutschen Reaktionen auf die Ereignisse von 1789: In keinem anderen Land Europas, schrieb Wieland 1793, sei die „Aufmerksamkeit und Teilnehmung so lebhaft, so warm und allgemein gewesen als in Deutschland“. Eine große Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg - gut 800 Exponate von zeitgenössischen Bilderbogen und Flugblättern bis zu Kunstwerken von Caspar David Friedrich und Joseph Beuys, von den Devotionalien der Revolutionsbilder bis zur Gipsbüsten -Galerie demokratischer Schreckensmänner - gibt jetzt Aufschluß über die widersprüchliche Rezeption der Großen Revolution im Nachbarland: ein Lehr- und Schleichpfad quer durch die inoffizielle deutsche Geschichte von 1789 bis heute.
Der paradoxe Untertitel „200 Jahre Französische Revolution in Deutschland“ ist Programm. In den letzten Jahren hat sich auch in der deutschen Geschichtswissenschaft die Einsicht durchgesetzt, daß 1789 nicht so sehr als umwälzendes Ereignis Geschichte gemacht hat, sondern als Mythos, als Beginn eines Mentalitätenumbruchs und fortdauernde Kulturrevolution. Konsequenterweise dokumentiert die Ausstellung denn auch weniger die Haupt- und Staatsaktionen als die Kultur- und Alltagsgeschichte des Volkes, jenen anderen, rebellischen Strang unserer Historie, an dem man den verschlafenen deutschen Michel manchmal allzu voreilig aufknüpft. Die Flugschriften der Altonaer Jakobiner und die Stammbuchverse der Tübinger Stiftler; die Freiheitsbäume und Gleichheitsbälle der kurzlebigen Mainzer Republik, die Bilder-Kriege zwischen Anhängern und Gegnern, die auf Schützenscheiben und Gebäckmodeln, in Gesellschaftsspielen und Bänkelliedern ausgetragen wurden: Derlei Exponate füllen den ersten Kreis der monumentalen Ausstellung.
Auch wenn die Reliquien der deutschen Revolutionsgeschichte - die ungelenken handschriftlichen Aufrufe, in denen den „adeligen Canaillen“ nur die Wahl zwischen „Freyheit oder Mordt und Todt“ gelassen wird, die Protokollbücher des Mainzer Jakobinerclubs oder des rheinischen Konvents - in ihrer ergreifenden Schlichtheit sich nur schwer gegen die klassisch ziselierten Hetztiraden der Weimarer Sturmglocken („Freiheit und Gleichheit hört man schallen; / Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr...“) und die raffinierte Bildpropaganda der Gegenrevolution behaupten können, so zeugen sie doch von Zivilcourage und ehrenhafter revolutionärer Ungeduld. Ein gefährliches Verdienst damals; heute sind die Fundstücke der republikanischen Archäologie als Prunkschmuck der Mächtigen längst museumsreif. Der zeitgenössische Spott gegen das mit der Jakobinermütze gekrönte Freiheitsbäumchen zu Mainz - „a Baumche ohne Wurzel un a Käpla ohne Kopf“ - beschreibt treffend die schwache Verankerung der cisrhenanischen Revolutionäre um Georg Forster. Aber es war keine Farce, sondern die Tragödie der Zufrühgekommenen.
„Sie und nicht wir“, dichtete Klopstock neidisch: Das Heilige Römische Reich war nicht Frankreich. Der deutsche Untertan glaubte noch an den „aufgeklärten Absolutismus“ und den guten Landesvater. Der Freiherr von Knigge nannte jenes Phantom noch 1793 als eine der „Ursachen, warum wir in Teutschland wohl keine gefährliche politische Haupt -Revolution zu erwarten haben“. Wo die französischen Bilder -Zeitungen, die „canards“, die politische Öffentlichkeit in symbolbefrachtete Allegorien bannten, herrschte bei den Deutschen schon jener „Terror der Intimität“, der sich die Hinrichtung Ludwigs XVI. nur als larmoyante Familientragödie vorzustellen vermag. Davids heroischer Klassizismus, die Guillotine wurde von politischen Zwergen in Genrebildchen übersetzt, die Guillotine zur niedlichen Mausefalle verkleinert. Chodowiecki stach 1792 die Revolution als Kinderstreich („Die Kinder Frankreichs drohen ihrer Mutter“), und die Utopie der Freiheit verläuft sich selbst in Klopstocks berühmter Ode „Kennet euch selbst“ im ländlichen Idyll. Immerhin, durch das französische Beispiel ermutigt, ersannen sich auch hierzulande wenigstens ein paar versprengte Handwerker und Bauern, Studenten und Schriftsteller zur Aktion. Freilich, die Bastille war bei der sogenannten „Eyerkuchen-Revoluzion“ in Nürnberg der Bäckerladen, der an Ostern keine kostenlosen Eierkuchen mehr ausgab.
Das Verhängnis der „deutschen Revolution“ begann mit dem militärischen Sieg der französischen. Hatten die Rheinländer vorher noch in Petitionen um Eingliederung in die französische Republik gebeten, so wurden sie durch die napoleonische Besatzungspolitik teutsche Patrioten, Blut und Eisen schluckende Freiheitskrieger: Die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die den Deutschen in der schon erstarrten Gestalt imperialer Machtpolitik aufoktroyiert worden waren, sind spätestens seit 1813 vollends eingedeutscht und in der unheiligen Dreifaltigkeit von „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ nationalisiert worden. Fortan meinte Freiheit den Kampf gegen welsche Bedrückung und Brüderlichkeit die Einigung zum chauvinistischen Reich.
Ein Seitenstück der Ausstellung, der Vergleich zwischen der Nation und Republik symbolisierenden Marianne und ihrem deutschen Gegenstück, der Germania, erhellt diese fatale Entwicklung sinnfällig. 1848 noch ganz a la Delacroix allegorische Vorkämpferin der Märzrevolutionäre, hielt die geharnischte Walküre, wilhelminisch aufgerüstet, seit der Reichsgründung nur noch für Deutschlands Größe Wacht am Rhein. Die Geschichte dieser Nationalmatrone gehörte zu jener zweiten Abteilung der Ausstellung, in der historische Längsschnitte über die längerfristigen Folgen der Französischen Revolution in Deutschland unterrichten. Die Nürnberger führen - überzeugend, wenn auch nicht gerade originell - den Nachweis, daß nicht nur die revolutionäre Symbolsprache (die phrygische Mütze, die Laterne als Symbol der Aufklärung wie der jakobinischen Lynchjustiz, die Ikonographie des Märtyrers oder des brüderlichen Händedrucks), sondern auch die politischen Ideen von 1789 in Deutschland nur einen legitimen Erben hatten: die Arbeiterbewegung von 1848 bis weit in die Weimarer Republik. Das Bürgertum hatte 1871 selbst seine liberal verdünnten Ideale von 1789 der Nation geopfert, und so war es auch ein Zufall, daß zur Hundertjahrfeier der großen Revolution 1889 nur eine sozialdemokratische Delegation nach Paris reiste.
Gleichwohl hat die Französische Revolution die deutsche Gesellschaft und Kultur nachhaltiger verändert, als ihre politischen Parteigänger glauben mochten. Die Emanzipation der Juden und der Frauen; die Modernisierung der Infrastruktur, neue Formen bürgerlicher Öffentlichkeit in Presse, Vereinen, Lesegesellschaften oder auch demokratischen Festen: Das alles war gewiß nicht, wie die Ausstellung manchmal glauben machen will, direkte Folge der Ereignisse von 1789. Aber doch Symptom eines Epochenwandels, der westlich des Rheins revolutionär und diesseits gebrochen und auf vielerlei Umwegen vonstatten ging.
Gemälde aus der „Schwellenzeit“ um 1800 belegen anschaulich, wie sich, unterhalb der Konkurrenz von Romantik und akademischem Klassizismus, eine neue Kunstauffassung durchzusetzen beginnt. Der Künstler bekennt sich zu seiner Individualität; die Landschaften, zur Natur geronnene Geschichtsbilder, werden heroischer: Die unverschuldet unmündige Kunst fordert Autonomie. Dieser Paradigmenwechsel hatte in der deutschen Architekturgeschichte groteske Folgen: Der revolutionäre Klassizismus eines Weinbrenner oder Klenze entwarf hochfliegende Pläne von „Gleichheitstempeln“, Nutzgebäuden und Denkmälern - am liebsten alles in einem -, die später dann in der „sprechenden Architektur“ etwa der urteutschen Walhalla realisiert wurden.
Die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts, die Schiller den Deutschen als schönes Surrogat für blutige Revolutionen und zu hoch hängende Trauben empfahl, läßt sich naturgemäß kaum in Schaustücken illustrieren, schon gar nicht, wenn sie bloß literarisch bleibt. Aber um die vornehme Distanz des deutschen Publikums zu den großartigen Erhebungen und häßlichen Pöbelkrawallen in Paris kennenzulernen, muß man nicht, wie es Inge Stephan in einem Aufsatz des voluminösen Katalogs (808 Seiten, drei Kilo) tut, die Revolutionsdramen des 19.Jahrhunderts studieren: Die Revolution selber war für die deutschen Historienmaler, Zeichner und Intellektuellen ein schauerlich schönes Theaterstück, dem man am liebsten von der Loge des Geistes aus zuschaute. Wieland pries sich glückselig, daß „wir Zeitgenossen und Zuschauer dieses größten und interessantesten aller Dramen, die jemals auf dem Weltschauplatz gespielt wurden, gewesen sind“, und Tieck drohte mit komischem Mut: „Oh, wenn ich itzt ein Franzose wäre! Dann wollt ich nicht hier sitzen, dann...“ Kant schloß aus der enthusiastischen „Teilnehmung dem Wunsche nach“ auf die „moralische Anlage“ der „Zuschauer, die nicht selbst in diesem Spiele mit verwickelt sind“: die revolutionäre Schaubühne als moralische Anstalt der Deutschen.
Im dritten und letzten Teil der Nürnberger Ausstellung wird diese politische Kunst-Geschichte bis in die Gegenwart fortgesponnen. Das Fazit fällt zwiespältig aus. Gewiß, es gibt einen Hrdlicka und gab einen Beuys, der seinem Landsmann, dem Revolutionspilger Anacharsis Cloots, ein Denkmal setzte; und 1968 haben die Studenten, vorerst zum letzten Mal in der politischen Ikonographie, auf Motive der Revolution zurückgegriffen; ca ira. Aber stärker wohl und sicher verheerender haben die alten Feindbilder fortgewirkt, von den Bilderbogen der Konterrevolution bis in die Wahlplakate der Nachkriegszeit hinein: Die Jakobiner - ihre Mütze wurde später den Bolschewisten übergestülpt - als Menschenfresser und Flintenweiber, als Brandstifter und Ungeheuer. Noch die Nazis, die sich 1939, zum 150jährigen Jubiläum der Revolution, als ihre Liquidatoren feierten, konnten in ihrer Bildpropaganda an diese Stereotypen anknüpfen; die antijakobinische Propaganda hat sie wohl nicht erfunden (zahlreiche Motive jener frühen Bild -Zeitungen stammen, wie Klaus Herding und Rolf Reichardt erst jüngst in ihrem Buch „Die Bildpublizistik der Französischen Revolution“ gezeigt haben, aus der turbulenten Reformationszeit), aber aufgegriffen und energisch umgedeutet.
Wenn nun ausgerechnet Nürnberg, die „Hauptstadt der Bewegung“, sich mit dieser Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum und einem umfangreichen Rahmenprogramm mit Vorträgen, Konzerten, Lesungen, Filmen und Theateraufführungen zum Zentrum der deutschen Revolutionsfeiern aufschwingt, so mag diese merkwürdige Konstellation auch als Versuch einer späten Rehabilitation gelten.
Die Ausstellung ist bis zum 1.Oktober zu sehen; der Katalog kostet 52 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen