: Elisabeth oder Das ausgeschüttete Herz
■ Wie Frau Motschmann sich und der „Funkuhr„-Gemeinde lebenshilft
„Man muß die Menschen dort abholen, wo sie sind,“ predigt Pastor Motschmann seiner weißhäuptigen Bremer Martinigemeinde, wenn er sie zu Aposteln gegen Abtreibung und für sittliche Lebensführung zu machen sucht. Z.B. nehmen Menschen an der Großen Aktion „Menschen schütten ihr Herz aus teil, die die Programmillustrierte Funkuhr wöchentlich initiiert. Den Inhalt
der ausgeschütteten Herzen holt sich dann Frau Pastor Motschmann dort ab und macht was draus.
Oft eine ganze Doppelseite mit Bild. Elisabeth Motschmann ist 36, Mutter von drei Kindern, Theologin und Pädagogin steht immer über dem Ausgeschütteten und Abgeholten drüber. Und daneben ist sie bildlings zu sehen, mit der netten kleinen gepflegten Strähn
chenfrisur, dem netten, kleinen, gepflegten weißen Stehkrägel- chen und dem netten, kleinen, adretten Lächeln aus dem Tiefkühlfach. Das törnt besser als meinetwegen Selbstmordabsichten telefonseelsorgerisch vereiteln, wo es immer ohne Bild, ohne Pädagogik, ohne Theologie und ohne drei Kinder in gräßlichster Anonymität passiert. Da leuchtet schon ein, daß richtige Gemein
dearbeit, die in die Breite und die Tiefe wirkt, bei der Gemeinde der „Funkuhr“ ansetzen muß.
Die Gemeinde besteht fast immer aus Frauen. Z.B. aus Jutta P., 29, die „wie ein Junge gebaut“ ist und und einen Mann hat, der 35 Jahre alt ist und und immer mit Evi tanzen geht, die einen Busen hat und „Bikinis trägt, die fast durchsichtig sind“. Der Mann, seit vier Jahren mit Jutta P. verheiratet und Sammler von Sexzeitschriften, sagt, „ein Mann holt sich halt, was er braucht“ und daß Jutta P. ja wegen der Kinder nicht mitkönne, wenn er mit Evi tanzen geht. Was soll Jutta P. machen? Soll sie sich die Brust operieren lassen? Und wenn ja wie mit 30 Mark Taschengeld im Monat?
Tritt Deinem sadistischen Schwächling in den Hintern, vier Jahre Ehe reichen beim gegenwärtigen Scheidungsrecht und zwei Kindern für einen anständigen Unterhalt, mach Dich mit Deinen Kindern selbständig, erwirb Dir keinen neuen Busen sondern Freunde, FreundInnen und Selbstbewußtsein.
Könnte die „Lebensberaterin“ z.B. sagen, (warum fragt uns wieder keiner?), wenn sie nicht grade Elisabeth Motschmann hieße,
studierte Theologin und Pädagogin und, egal wo jemand abzuholen ist, am Ende doch beim kleinen Jesulein in Gestalt von Vatis christlich subsumierter Familie rauskommen müßte.
Frau Motschmann macht sich angesichts des 35-jährigen Ehemannes Gedanken über den Lolita-Komplex der älteren Herren mit den grauen Schläfen. Das ist auch das, was die „Funkuhr“ fotografisch-süffig der Betrachterin ins betroffene Auge hebt: junges Ding mit nacktem Knie und Busen in Goldlame champagnerbeflirtet alten Bock. Nach dieser etwas problemunabhängigen Einführung aber wird die arme Jutta P. zum Exempel abkommandiert, das das Schmierenpatriarchat retten soll. Frau Motschmann empfielt „zweite Flitterwochen sozusagen“, die die Frau als „Freizeitmanagerin“ initiieren soll. Und der Mann? „Er muß sich seiner Familie widmen. Dabei sollte er sich wohl fühlen. Das tut er sicher, wenn ihn zu Hause Abwechslung, Freude dund eine Frau erwarten, die sich attraktiv anzieht, schminkt und frisiert.“ Herr Pastor hat eine kongeniale Partnerin.
Uta Stolle
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