: Wo jede(r) mal arbeiten oder lernen muß
■ Kleiner Besuch beim Stadtspiel auf Tenevers Abenteuerspielplatz / Ein Pöks will Popkornverkäufer werden und wendet sich ans „Arbeitsamt“
„Weißen ihr, hat er gesagt, weißen ihr!“ Das blonde Mädchen, das mit seiner Freundin das Fett zur Popkorn-Fabrikation siedet, kostet's aus. Der schwarzhaarige Junge, der auf der anderen Seite des Nottisches sich und seinen Angang drauf vorbereitet, Eis zusammenzurühren, kann zwar genug Deutsch, zu sagen, daß die Weiber von seinem Eis eventuell nichts abkriegen, aber in punkto „weißen“ wissen die Eingeborenen es immer noch besser.
Multikulturell polnisch-türkisch-deutsch-asiatisch -schönäugig ist die Kindergesellschaft in Tenever ohnehin, an diesem Montagnachmittag wird sie ab zwei Uhr auf dem Abenteuerspielplatz am Pfälzer Weg auch noch in die Geheimnisse des Ware und Arbeitskraft gegen Geld tauschenden Sozialstaates eingeführt.
„Jeder muß arbeiten oder lernen,“ gilt da nämlich und steht gleich am Eingang auf ein Stellplakat geschreiben angeschrieben.
Ungefähr da, wo eineinhalb Stunden nach Beginn der „Kinderspielstadt Minimax“ immer noch eine lange Schlange vor dem „Arbeitsamt“ drängelt. Das ist ein Tisch mit zwei freundlichen KulturpädagogInnen dran, die geben Button und Ausweise aus und tragen jeder SpielstädterIn Namen ein. Ohne Ausweis gilt man erst mal gar nichts.
Der Pöks, hinter dem ich neugierhalber herschlendere, weiß das noch nicht, der dölmert ein
fach auf seine Kumpels zu, die sich ein bißchen weiter hinten aufs Stelzenbauen vorbereiten. „Laß mal sehen, was Du bist.“
Gejohle. „Du bist überhaupt nix.“ Gejohle. „Das mußt Du da vorne machen lassen.“
Der Pöks macht sich nach da
vorne auf, da ist die „Stadtverwaltung“, für Uneingeweihte nicht leicht kenntlich: Hinter dem Tisch, der das „Arbeitsamt“ ist, ein ebensolcher Tisch mit einem kleinen Mädchen dran. Beraten von einer Kulturpädagogin, führt die mit ihren Klienten Einstellellungsgespräche, was sie gern werden möchten und schreibt dann mit Nase und Filzer in den Ausweis: „Müllwerker“ oder „Reporterin“ oder „Popkornverkäuferin“ oder Stelzenwerkstatt, Stadttheater, Cafe, Traumschule, Badeanstalt, Schönheitsladen.
Überall kann kind arbeiten oder eben lernen, kriegt dafür ein paar Einheiten „Brekkies“, Bremer Kinder Kies von der Bank und kann damit dann wiederum beim Cafe oder dem Popcornstand einkaufen. Zwei Stunden Stadt spielen, in der alle nützlich sind, gleich entlohnt werden, nach ihren Bedürfnissen einkaufen können, allerdings alles nur, wenn sie jemand mit Ausweis, Stempel und Arbeitseintrag versehen hat.
Die Bürokratie, dargestellt von den KulturpädagogInnen, ist in dieser Spielstadt unverzichtbar. Sie haben sich das Projekt vom Münchener Jugendamt/Kulturwerkstatt abgeguckt, das aber, wenn den Zeitungsberichten zu trauen ist, ein bißchen mehr Geld zuVerfügung hatte. Jetzt sind sie allerdings ein bißchen ratlos. Die 120 Ausweiskarten sind längst alle, und immer noch stehen Schlangen vorm Arbeitsamt und Stadtverwaltung. Die reagiert
flexibel und ordnet jedem Arbeits- und Lehrplatz noch zusätzlich jemand zu.
Die Müllwerker, deren schwerer Dienst an der Plastiktüte sich erst später erfüllen wird, besetzen unterdes die erste Reihe vor dem Stadttheater. Das hat schwarzen
Plastikvorhang und kleine Bühne und Umzugskabine im Gebüsch. Die Proben lassen schon erkennen: hier entsteht ein Zirkusstück mit Direktorin und einem netten grauen Esel, der allerdings just seine süße kleine Ladylast im Galopp verliert.
Uta Stolle
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