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Männer, Stühle, Tische, Tee und Messer

■ Flüchtling aus dem Libanon verblutete nach Messerstecherei in Cafe / 30 Beteiligte und lauter Widersprüche vor Gericht

Am Dobben 66, zwischen dem „Airport“ und dem „Futon„ -Geschäft liegt zurückgesetzt ein Lokal. Kurdische, türkische und arabische Männer vertreiben sich hier ihre Zeit, trinken Tee, spielen Karten, stehen am Billard. An einem lauen Juliabend 1988 kam es in dem vollbesetzten Lokal für einige Minuten plötzlich zu einem Kampf. Fast alle der 30 Anwesenden beteiligten sich. Sie kämpften mit Stuhlbeinen und mit Billardstöcken, mit Fäusten und mit Messern. Einer starb: Walid Dahschan, ein 19jähriger palästinensischer Flüchtling aus dem Libanon.

Sieben Messerstiche hatte Walid Dahschan in Brust und Rücken

-aus drei oder vier verschiedenen Messern. Ein Stich war tödlich gewesen, hatte das Herz getroffen.

Zwei der über 30 Besucher des Lokals saßen gestern auf der Anklagebank im Landgericht. Ihnen wird Totschlag vorgeworfen. Die Angeklagten sind Vater und Sohn, beide in Beirut geboren. Derbo M., der Vater, arbeitete dort als Gemüsehändler. Er ist kurdischer Abstammung und sagt von sich und seiner Familie: „Unsere Sprache ist arabisch. Wir fühlen uns arabisch. Aber man sagt, wir seien Kurden.“ Derbo M. und seine Frau haben zusammen 15 Kinder, mit 14 Kindern kamen sie als Flüchtlinge in die

Bundesrepublik: „Hier haben wir wenigstens keinen Krieg, müssen uns nicht immer verstecken.“ Die Familie lebt von Sozialhilfe, das Asylverfahren ist noch nicht entschieden. Der Mann hat deshalb Arbeitsverbot, war und ist damit in einer ähnlichen Situation wie der getötete Flüchtling. Der Sohn auf der Anklagebank, 25 Jahre alt, ist auch schon Familienvater. Beide Männer hatten nach dem Tatabend Stichverletzungen am Rücken. Sie verweigerten gestern vor Gericht die Aussage.

Drei Tatzeugen wurden gehört, die Aussagen zweier weiterer verlesen. Diese fünf Aussagen stimmten nur darin überein, daß sich der plötzliche Streit an einem

Stuhl entzündet hatte. Ob dieser Stuhl am Tisch des später Getöteten für einen erwarteten vierten Kartenspieler reserviert war und deshalb einem hereinkommenden kurdischen Gast verweigert wurde - oder ob dieser Stuhl am Tisch der kurdischen Angeklagten gestanden hatte, von wo ihn ein libanesischer Begleiter des Getöteten mit Gewalt wegziehen wollte - dies ließ sich gestern nicht klären. Genausowenig wie die Frage, wie das Opfer zu seinen insgesamt sieben Stichwunden gekommen ist und wer auf die Angeklagten eingestochen hat. Offen blieb auch die Frage, ob in dem Lokal verdeckte nationalistische Spannungen herrschten. Ein palästinensischer Zeuge verneinte das: „Kurden und Palästinenser haben immer zusammen gekämpft.“ Ein anderer berichtete, in dem Lokal hätten sich die Kurden großgetan: „Hier ist kurdisch. Palästinenser und Libanesen - alles Scheiße.“

Drei in Plastiktüten eingewickelte Messer hatte der Vorsitzende Richter Kurt Kratsch gestern vor sich liegen. Etwas unbeholfen hantierte er mit dem aufklappbaren Gerät, dessen Mechanismus ihm nicht recht vertraut war. Das Messer mit der längsten Klinge hatte dem Opfer gehört, dasjenige mit dem gebogenen „chinesischen“ Schaft, an das sich ein Zeuge als die tödliche

Waffe erinnerte, war nicht gefunden worden.

Unklar blieben auch Thesen der ermittelnden Beamten, daß kurdische Beteiligte versucht hätten, Belastungszeugen einzuschüchtern. Genauso ungeklärt blieb der Verdacht, daß der Hintergrund der Auseinandersetzung nichts anderes gewesen sei als der Kampf um die Vorherrschaft im Haschischhandel des Steintorviertels.

Staatsanwalt Neugebauer sah die Schuld der beiden Angeklagten als erwiesen an. Denn zwei Zeugen hatten den Sohn Khaled M. in einem Handgemenge mit dem Opfer beobachtet und auch ein Zustechen des Vaters in den Rücken des Opfers gesehen. Er forderte zehn und zwölf Jahre Gefängnis. Die Verteidiger Joschke und Lunkmoss plädierten dagegen auf Freispruch: „Saumäßig“ seien die Ermittlungen geführt worden und bisher sei gar nichts bewiesen. Das Gericht will das Urteil am Freitag verkünden.

Die wohl treffendste Analyse hatte am Tag nach dem tödlichen Stich ein Verwandter des Opfers gegeben: „Unsere jungen Leute kennen nur den Krieg. Im Libanon will ja auch jede Partei die stärkste sein. Die Leute bringen diese Aggressivität mit hierher. Wenn man nicht um die Macht kämpfen kann, dann eben um einen Stuhl.“

Barbara Debus

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