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Athen: Waldbrand am Atomwaffenlager

Seit Tagen brennt der Wald am Nordrand der griechischen Hauptstadt / Amerikanische Artillerieeinheit trifft außerordentliche Schutzmaßnahmen / Erste Evakuierungen / Öldepots und Raffinerien in der Gefahrenzone  ■  Aus Athen Robert Stadler

„Die Feuersbrunst nähert sich amerikanischen Militäreinheiten mit Atomwaffen“, war eine der Schlagzeilen in den griechischen Tageszeitungen, die den katastrophalen Waldbrand im Norden von Athen in den letzten Tagen begleiteten. Obwohl von offizieller Seite dementiert wurde, daß bei der 350. amerikanischen Artillerieeinheit, etwa zehn Kilometer nordöstlich von Eleusina, Raketen mit atomaren Sprengköpfen gelagert seien, zeigte die besorgte Haltung der Bevölkerung, daß man hier den „Verantwortlichen“ nicht hundertprozentig Glauben schenkt. Vorgestern wurde bereits ein Kinder-Ferienlager evakuiert. In der Nähe des Waldbrands, in dem Athener Vorort Aspropirgos, befinden sich außerdem mehrere Raffinerien und Öldepots.

Bis auf zwei Kilometer hatte sich vorgestern nacht die Flammenfront dem amerikanischen Stützpunkt genähert, und obwohl Militärs äußerten, daß keine Gefahr bestehe, wurden sofort außerordentliche Maßnahmen zu ihrem Schutz getroffen.

Aus Unterlagen des US-amerikanischen Department of Defense aus dem Jahr 1987 geht eindeutig hervor, daß die Artillerieeinheit bei Eleusina mit allen Geräten für einen nuklearen Unfall ausgestattet ist. Falls dort Atomwaffen lagern, befinden sie sich in unterirdischen Betonbunkern, die sie im Normalfall vor einem Waldbrand schützen. Sollten die Betonwände dem Feuer jedoch nicht standhalten, käme es zwar nicht zu einer nuklearen Explosion, aber zu einer „Plutonium-Verrußung“, erklärte Erich Schmidt-Eenboom vom Starnberger Institut für Friedenspolitik gegenüber der taz. Schon ein Millionstel Gramm der dabei freigesetzten Partikel ist krebserregend - einige Millionstel Gramm sind tödlich.

In den letzten Tagen ähnelten die Kurznachrichten der griechischen Radiosender Berichten von Feuerwehrzentralen: Brände in Chios, in Poros, in Ikaria, in Lakonia. Und nicht zuletzt der in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt. Bisher fielen der „Feuerhölle“ in der „grünen Lunge“ Athens etwa 550 Hektar Pinienwald zum Opfer.

Das Phänomen der Waldbrände ist jedoch keine Besonderheit des Jahres 1989. So wie Sommer, Sonne, Strand gehören sie zu den fixen Bestandteilen der heißen Monate. Mehr als 200.000 Hektar Waldfläche wurden allein zwischen 1984 und 1987 vernichtet. Verkohlte Bäume als Zeugen des Verbrechens an der Umwelt. Um einiges schwerer wiegen diese Schäden im smoggeplagten Athen, das von allen Hauptstädten Europas über die geringste Anzahl von Grünflächen im Verhältnis zur Einwohnerzahl verfügt.

Die Ursachen für viele der Brände sind Abbrennen von Stoppelfeldern und Verbrennen von Abfall. Ein Fünftel davon ist auf „mutwillige Brandstiftung“ zurückzuführen, wobei hier die unaufgeklärten Fälle (rund 25 Prozent) diesen Prozentsatz wohl noch um einiges nach oben revidieren dürften. Erstaunlich ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern aus Thessaloniki aus dem Jahre 1986, die eindeutig einen Zusammenhang zwischen den Waldbränden und der politischen Situation des Landes feststellen konnten.

Überdurchschnittlich hoch sind die Feuerschäden in Wahljahren und zuzeiten politischer Krisen. 1985, als das griechische Parlament gewählt wurde, zerstörten Brände circa 100.000 Hektar an Waldfläche, 1984 waren es „nur“ 34.000, 1986 25.000 Hektar. Sollte sich diese These auch für 1989 bestätigen, wären katastrophale Folgen für die Umwelt zu befürchten.

Nach dem Urnengang im Juni sind die Griechen im Oktober erneut aufgerufen, eine Regierung zu wählen, und über Mangel an politischen Krisen konnte man sich in diesem Jahr nicht beklagen. Die derzeitigen Brände scheinen das Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchung zu bestätigen.

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