: Bisam, Bussard und Sumpfwurz im Baugebiet
■ Hollerland: Was ist da eigentlich so schützenswert? / Seit Wochen führt Naturschützer Gerold Janssen SPD-Politiker über Feuchtwiesen
Senatsdirektor Manfred Osthaus, nach Bremen geholt als einer, der in ökologischen Zusammenhängen denkt und zuständig für ein Wohnungsbauprogramm, hat eine politische Haltung: „Ich kann keine Rücksicht nehmen. Ich muß sehen, wie ich meine Flächen zusammenkriege.“ Gesagt hat er das dem 66jährigen nimmermüden Hollerlandaktivisten Gerold Janssen, und der hat es in roter Farbe auf einen Fahrradweg beim Hollerland gemalt. Seit inzwischen 12 Jahren geht Janssen dem Senat, der SPD, früher der Neuen Heimat und jetzt der GEWOBA auf die Nerven mit seiner Forderung: „Hände weg vom Hollerland.“ Und immer noch, so findet er, wissen viele, die dort in den Feuchtwiesen Wohnungsbau statt Naturschutz wollen, nicht was sie tun.
Damit die Häusleplaner wenigstens einen kleinen Eindruck bekommen, was in der Wunderwelt Hollerland unwiederbringlich vernichtet würde, hat er sie alle eingeladen zu einer kleinen Natur-Tour über Feuchtwiesen und in den Hollerwald. Und zumindest eins hat er erreicht: Gekommen sind bislang noch alle, die er angesprochen hat. Der SPD-Baupolitiker Karl-Heinz Schreiber, Gewoba-Geschäftsführer Eberhard Kulenkampff, Senatsdirektor Osthaus, SPD-Fraktionschef Claus Dittbrenner, gleich zweimal, alle waren sie da. Und die SenatorInnen Lemke-Schulte und Kunick sollen ebenso noch kommen wie die SPD-Vorsitzende Ilse Janz.
Jan-Reiners-Wanderweg: Eine kleine Brücke führt über das Scheelenkampsfleet. Von hier
aus kann Naturführer Janssen am besten zeigen, wie wichtig der hohe Wasserstand im Hollerland für Flora und Fauna ist. Seit kurzem wurde der Wasserstand von 50 auf 60 Zentimeter erhöht. Jetzt hat sich auch eine Wasserpflanze namens Krebsschere wieder angesiedelt und mit ihr unzählige Schneckenarten und Libellen, die an die Krebsschere gebunden sind. Sumpfdotterblumen, ganze Teppiche von Hahnenfinger, die Salzteigimse, Schwanenblumen, die einen Meter aus dem Wasser wachsen: „Der Artenreichtum des Hollerlandes ist sagenhaft“, sagt Janssen und hat festgestellt, daß es seinen BesucherInnen aus Politik und Verwaltung „wie Schuppen von den Augen fällt“, wenn sie mit ihm hier auf der Brücke stehen.
Ein Artenreichtum, der unmittelbar bedroht ist. Eine Bebauung der Feuchtwiesen würde bedeuten, daß der Grundwasserstand abgesenkt und ein ganz neues System von Bewässerungsgräben gezogen werden müßte. Mit Auswirkungen über das unmittelbare Baugebiet hinaus. Am Himmel zieht ein Bussard schwerelos seine Kreise, „der hat da drüben im Hollerwald seinen Horst“ und im Fleet paddelt ein pussierliches Tierchen vorbei: „Guck, da ist ein Bisam. Der bringt was zu seinem Bau. Das ist unglaublich, was die wegschleppen können.“
Weiter auf dem Jan-Reiners-Weg zum Lehester Deich. Da hat vor Jahren ein Neue-Heimat-Mitarbeiter schon mal ein Häuschen für sich auf die Feuchtwiesen gestellt und damit die Baugrenze nach vorne verschoben. Vier weitere Häuser sind dieses Jahr dazu
gekommen. Sie wurden auf kleinen Hügeln errichtet, ein Graben hält das Wasser vom Grundstück. Das gibt eine kleine Vorstellung,
was die Stadt veranstalten müßte, wenn direkt auf den Wiesen gebaut würde. Auf der anderen Seite, im Gewerbegebiet Horn
Lehe, wo für die COOP auf feuchter Wiese ein Riesenlager gebaut wurde, mußte das sumpfige Erdreich bis auf fünf Meter Tiefe gegen trockenen Boden ausgetauscht werden.
Nochmal 150 Meter hinter den Neubauten ändert sich der Bodentyp. Auf leichter Anhöhe, einem Geestrücken, bauen Landwirte zur Zeit noch Getreide und Mais an. Und hier, so will es Janssen den Politikern als Kompromiß schmackhaft machen, hier kann man bauen, ohne einmalige Natur unwiederbringlich zu zerstören. Der Streifen gehört im wesentlichen der Gewoba. Platz ist dort allerdings nur für rund 300 Häuser, das Wohnungsbauprogramm aber sieht für „Horn-Lehe-West“ die doppelte Anzahl von Häusern vor.
Weiter geht es zum Hollerwald. „Scheißpappeln“ stehen da, ökologisch nicht besonders wertvoll, hat sich Janssen mehr als einmal anhören müssen. Stimmt, sagt er, aber die Pappeln, 1946 als schnellwachsender Rohstoff für die Streichholzindustrie angepflanzt, bilden einen Schirm für eine in Bremen einzigartige Fauna, die sich nur dort entwickeln kann, wo ein Wald direkt im Feuchtgebiet gewachsen ist. Untersucht worden ist das Gebiet nie, doch wer will, kann sehen, was die besondere Bedeutung des Gebietes ausmacht.
In kleinen feuchten Gräben leben Moorfrosch, Molche und Kröten, in dem Graben, der den Wald zu den Wiesen abgrenzt,
gibt es fast alle der insgesamt 10 verschiedenen Laichkrautarten, hier wächst der Kalmus mit seiner prächtigen Blüte. 100 verschiedene Pilzarten hat ein Fachmann gezählt, viele davon stehen auf der roten Liste der bedrohten Pflanzen; hier hat die Orchidee namens Breitblättriger Sumpfwurz seinen letzten Bremer Standort. Und die Pappeln sind längst nicht die einzigen Bäume geblieben. Eichelhäher, die immer viel mehr Eicheln verbuddeln, als sie dann im Winter wiederfinden, haben dafür gesorgt, daß überall Eichen aus dem Boden wachsen, einige schon mehrere Meter hoch. Alle nur denkbaren Beerenarten gibt es hier; sie bieten einer Vielzahl von Vögeln Futter. Und über allem schweben die Mäusebussarde und stoßen klagende Laute aus. „Hör mal wie der jammert. Der spürt das als Eindringen und warnt jetzt“, sagt Janssen. Und falls der Wald nun stehen bleiben darf, das Feuchtgebiet ringsherum aber bebaut wird, was bleibt dann von dem Kleinod? „Das kannst Du dann vergessen.“
Beeindruckt hat Janssen mit der Natur-Tour alle, zumindest hatte er diesen Eindruck. Nur einer, der mit dem Hollerland Geschäftspolitik machen will, blieb knallhart und findet sich nun ebenfalls mit einem Zitat auf dem Radweg wieder. „Es wird nur noch exekutiert“, steht da in großen roten Lettern und darüber: „Gewoba-Boss Kulenkampff.“
Holger Bruns-Kösters
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