piwik no script img

Ernst Reuter, Terrorist

Berlins berühmter Regierender Bürgermeister: Er war, 1921, Generalsekretär der KPD, organisierte Bombenanschläge und Attentate. Sein Deckname: Friesland. Davon war bei den Jubelfeiern am Samstag nicht die Rede...  ■ D O K U M E N T A T I O N

Was schätzt unser Bundespräsident Richard von Weizsäcker am Berliner SPD-Bürgermeister Ernst Reuter (1889-1953)? Er schätzt, sagte er vorgestern, an diesem großen Manne die „Tatkraft und Tapferkeit“. Reuter habe die „Berliner mitgerissen“. Seine Name werde deshalb „Bestand haben“. Wir alle verneigten uns „in Bewunderung und Dankbarkeit“.

Der Bundeskanzler Kohl liegt, ausnahmsweise, da schon richtiger. Er läßt den Feiernden vom österreichischen Wolfgangsee ausrichten, daß Ernst Reuter eine „unverwechselbare Persönlichkeit“ gewesen sei. Stimmt. Eine mit einem sehr schlechten Gedächtnis. Denn zwischen 1917 und 1922 war der „große Demokrat“, der „Retter Berlins“, der „Held der freien Welt“ - alles Ehrentitel, die ihm bei den gestrigen Feiern zu seinem 100.Geburtstag neuerlich verliehen wurden - in seinen frühen Jahren war Reuter vor allem Bolschewik, Kommunist und Revolutionär. Er war auch Terrorist und organisierte Bombenanschläge.

Weil diese großen Jahre des großen Mannes bei den Jubelfeiern viel zu kurz gekommen sind, dokumentiert die taz eine Episode aus der Osterzeit 1921. Damals suchte Reuter alias Friesland den Rückzug der KPD nach gescheiterten Aufstandsversuchen in Mitteldeutschland politisch zu decken. Verbündete wurden gebraucht. Friesland wandte sich an Franz Jung (1888-1963), einen Haudegen, Literaten und Lenin-Spezi. Jung stand der Kommunisten Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) vor. Die war eine linke Absplitterung von Ernst Reuters KPD und gut fürs Grobe. 1961 hat Franz Jung sich daran erinnert:

„Am Abend des zweiten Osterfeiertages 1921 suchte mich der Berliner Ortsleiter der KPD, Friesland, auf. Wir kannten uns flüchtig, zu solchen Spitzen hatte ich im allgemeinen keine Verbindung. Dieser Friesland beschwor mich, aus der sogenannten militärischen Organisation der KAPD Leute auszusuchen, die mit terroristischen Aufträgen betraut werden könnten. Ich sagte zu - nicht viele Leute haben in meinem Leben mich so dringend und flehentlich um etwas gebeten. Es sei notwendig, mit einer Terror-Aktion den politischen Rückzug zu decken und solche Argumente mehr, im Falle, daß die Streik-Resolutionen in den Versammlungen am folgenden Tage abgelehnt würden. Wir hätten dann wenigstens vor den Berliner Arbeitern den guten Willen gezeigt, Widerstand zu leisten und so fort.

Wir brachten noch von seiten der KAPD in der gleichen Nacht ein halbes Dutzend dieser Leute zusammen, die bereit waren. Wir bekamen das Material, wir bekamen die Adressen, das Programm der durchzuführenden Aktion: in Oberschöneweide sollte der Eisenbahntrakt in die Luft gesprengt und die Verbindung unterbrochen werden. Auf der Eisenbahnbrücke in Charlottenburg sollte man die Weichenstellanlage an der Abzweigung nach Halensee sprengen, und schließlich die Wohnung des Staatssekretärs im Innenministerium Weißmann, ein bei den kommunistischen Arbeitern besonders verhaßter SPD-Mann, mit Bomben belegen. Das Sprengmaterial war in Ordnung. Je zwei Leute gingen nach Oberschöneweide und Charlottenburg an die bezeichneten Stellen. Ich hatte Vertrauen in die Leute - kriegsgeschult, biedere Familienväter, keine großen Worte, den einen, früherer Pionier-Feldwebel, jetzt Bierfahrer, hatten wir noch nachts aus dem Bette geholt, die anderen aus Kneipen in ihrer Nachbarschaft.

Die Weißmann-Aktion war schwieriger. Wir konnten so schnell keine gebrauchsfertigen geballten Ladungen auftreiben, wir mußten uns mit Eierhandgranaten begnügen. Auch gefielen mir die beiden Leute nicht, die mir als geeignet zugeführt wurden: sie waren laut und großsprecherisch. Es stellte sich bald heraus, daß sie nicht gewillt waren, den Auftrag allein durchzuführen.

So ging ich mit. Wir fuhren mit der Straßenbahn in den Grunewald, wo in einer Seitenstraße, nicht weit vom Bahnhof Grunewald, die Weißmannsche Villa liegen mußte; auf einer Kartenskizze war der Fluchtweg durch ein benachbartes, zur Zeit leerstehendes Villengrundstück eingezeichnet. Je näher wir unserm Bestimmungsort kamen, um so kleinlauter wurden meine Begleiter. Ich postierte die Leute je nach der Straßenseite der Villa und würde das Zeichen zum Werfen geben, ich selbst hatte mich an der Straßenkreuzung aufgestellt. Jeder hatte zwei dieser schweren Eier. Auf mein Zeichen, Arm hoch, warf der eine die Handgranate in den Vorgarten, wo sie am nächsten Morgen von der Polizei gefunden wurde, der andere warf die eine in das ihm bezeichnete Fenster. Es gab einen gewaltigen Krach, die Fensterrahmen wurden herausgerissen, Regen von Glassplittern - er lief davon, die zweite Handgranate noch in der Tasche. Beide hielten sich nicht an die Verabredung der Fluchtwege und blieben verschwunden, auch für später. Ich selbst ging durch die stille Villenstraße zurück nach der Stadt, kein Mensch auf der Straße, keine Polizei, keine Sanitätswagen; es herrschte die tiefe Stille des bereits heraufdämmernden Morgens...

Um es kurz zu machen: Die Weißmann-Adresse war falsch. In der Villa wohnte ein Kunstmaler im Oberstock, der durch die Explosion aus dem Bett geschleudert wurde, Sachschaden am falschen Objekt. Der Bierfahrer war in Oberschöneweide von der Straße aus auf den Bahndamm gekommen, hatte die Ladung an der geeigneten Stelle angebracht, die Ladung wurde vorschnell hochgebracht, um einen schon in der Ferne anrollenden Zug nicht zu gefährden. „Unschludige Arbeiter, die zur Morgenschicht fahren im Zuge - “, daher nur geringe Geleiseschäden, immerhin einige Betriebsstörung. Die anderen beiden, für die Charlottenburger Brücke bestimmt, konnten die Ladung nicht nach oben bringen, begnügten sich damit, das Zeug unten in der Wellblech-Pißbude anzubringen, die unter der Unterführung stand. Erfolg war, daß die Wellblechbude in die Luft flog, ohne sonst irgendwelchen Schaden anzurichten.

Wir haben allerdings niemanden weiter gstört. Die Zeitungen hatten die Nachrichten über die Vorgänge im Mansfeldschen gebracht in Form der vom Kriege her noch bekannten Bulletins der kämpfenden Reichswehr: Säuberungsaktion gegen kommunistische Banden. Einen großen Erfolg, den einzigen, hatten wir dagegen bei der 'BZ am Mittag‘: das Hölz-Plakat war im Wortlaut abgedruckt, mit Photo. Sodann: Bombenanschlag im Grunewald, Bombenanschlag in Oberschöneweide, Bombenanschlag auf die Charlottenburger Eisenbahnbrücke - das waren in Fünf-Zentimeter-Lettern die Überschriften, - Eingreifen von Polizei und Sicherheitstruppen bevorstehend - Belagerungszustand? Aber es rührte sich sonst nichts. Auch das Berliner Mittagsblatt konnte mit dem Bürgerschreck die Revolution nicht Gang bringen!

Die vorbereiteten Streik-Resolutionen kamen an diesem Abend auf den Obmännerversammlungen nicht einmal zur Abstimmung. Die Blamage war derart, daß der gesamte Parteiapparat bei der USPD und KPD auseinanderzufallen drohte. Friesland trat als Sekretär der Berliner KPD zurück und überraschte die Berliner Presse mit einer den Redaktionen zugeleiteten Erklärung, daß er die provokatorische Politik der Arbeiterparteien als ein Verbrechen am deutschen Volke betrachte. Er ging zur SPD, volontierte dort eine Weile, bevor er als ordentliches Parteimitglied akzeptiert wurde, gelangte später ins Parlament, nahm seinen bürgerlichen Namen Reuter wieder auf und hat nach dem Zweiten Weltkrieg als Oberbürgermeister von Berlin eine Rolle gespielt. Ich habe ihn niemals wiedergesehen, obwohl ich Gelegenheit genug gehabt hätte. Schließlich wollte ich ihn auch nicht in Verlegenheit bringen.

(aus F. Jung, Der Weg nach unten)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen